Beliebt, erfolgreich, selbstbewusst, stark, schön, – diese Eigenschaften wünschen sich Eltern für ihr Kind und versuchen ihr Bestes, um es auf das Leben vorzubereiten. Wir wissen alle, wie wichtig ein stabiles Selbstbewusstsein ist. Doch oft läuft irgendetwas schief und das Kind entwickelt Komplexe.
Wie viel bin ich wert – Mangelndes Selbstwertgefühl bei Kindern
Die Ursache dafür liegt nach Meinung verschiedener Wissenschaftler in den Genen. Pädagogen und Erziehungsexperten sehen das allerdings anders: Die ersten Lebensjahre und die Eltern prägen ein Kind in allen Lebensbereichen. In dieser Zeit wird auch das Selbstwertgefühl entwickelt – oder eben nicht.
Wie Minderwertigkeitskomplexe entstehen
Die klassische Psychoanalyse führt die Entstehung von Komplexen auf Situationen in der frühen Kindheit zurück, die problematisch waren und nicht gelöst bzw. bewältigt worden sind. Daraus entstehen bestimmte Denk- und Gefühlsmuster, die in ähnlichen Situationen immer wieder abgespult werden und das meistens unbewusst. Die bekanntesten Komplexe entstehen aus schwierigen Eltern-Kind-Beziehungen und sind als Ödipus- bzw. Elektra-Komplex bekannt. Während der Ödipus-Komplex aus einer ungelösten Rivalität dem Vater gegenüber entspringt, beschreibt der Elektra-Komplex die Eifersucht eines Mädchens auf seine Mutter. Aus den daraus resultierenden Mustern entstehen Minderwertigkeitskomplexe, die zu einem übermäßigen Geltungsbedürfnis führen, das in der Pubertät extreme Formen annehmen kann. Mutproben, Gewalttätigkeit, ein auffälliges Outfit sind klassische Beispiele.
Mangelndes Selbstwertgefühl entsteht immer aus einem Gefühl der Unzulänglichkeit und Unvollkommenheit heraus. Das Kind hat das Gefühl, den Anforderungen nicht gerecht zu werden, bestimmte Leistungen nicht erbringen zu können. Diese innere Einstellung entsteht zu einem großen Teil auch durch die Erwartungshaltung der Eltern. Wächst ein Kind in dem Bewusstsein auf, dass seine Eltern ihm vertrauen und ihm etwas zutrauen, dass es Fehler machen darf und dass es bei den Eltern Unterstützung findet, haben dauerhafte Komplexe keinen Platz. Hören Kinder dagegen ständig Sätze wie: „Das kannst du sowieso nicht“, „Sei doch nicht immer so ungeschickt“ oder „Dafür bist du noch zu klein, ich mach das schon“ bekommen sie das Gefühl, nicht richtig und nicht gut genug zu sein. Ein Selbstwertgefühl kann sich nur schwer ausbilden.
Wir tun doch nur unser Bestes!
Gerade Eltern, denen bewusst ist, wie wichtig eine gefestigte Persönlichkeit ist, sehen oft nicht, dass das mangelnde Selbstbewusstsein ihres Kindes durch sie selbst verursacht wurde. Großer Erfolgsdruck (unser Kind soll es einmal besser haben als wir) oder übermäßiger Leistungsdruck (aus dir soll doch mal etwas werden) gehen oft auf Kosten des liebe- und vertrauensvollen Miteinanders. Akzeptanz und Respekt gegenüber der Persönlichkeit des Kindes treten in den Hintergrund. Dabei ist gerade das der Schlüssel für ein gutes Selbstbewusstsein: Das Gefühl, geliebt und angenommen zu sein und das in jedem Moment. Problematisch kann es auch werden, wenn ein Kind überbehütet wird. Es hat dann keine Chance sich in Konflikten zu üben oder Prüfungen zu meistern, da alles Negative von ihm fern gehalten wird.
Jedoch geschehen auch außerhalb des direkten Einflusses der Eltern Dinge, die dem Selbstbewusstsein von Kindern zusetzen können. So kann ein Kind innerhalb seiner Schulklasse zum Außenseiter werden, weil es anders ist als die anderen Kinder – zu klein, besonders jung, zu nett, zu feinfühlig – oder es ganz einfach die falschen Klamotten anhat. Die Folgen können von kleinen Sticheleien bis hin zu Mobbing oder Gewalttätigkeiten reichen.
Komplexe abbauen
Ist ein Minderwertigkeitskomplex erst einmal im Kind verankert, dann ist es schwer, ihn wieder loszuwerden. Der erste Schritt ist tatsächlich eine umfassende Veränderung der inneren Einstellung – und zwar bei den Eltern. Sie müssen lernen, ihr Kind mit anderen Augen zu sehen, es wertschätzend zu behandeln und ihm zu vertrauen. Nur so kann es den Komplex überwinden und Vertrauen zu sich selbst entwickeln. Das Umdenken der Eltern ist deshalb so wichtig, weil reine Lippenbekenntnisse nicht ausreichen. Ein Kind spürt, ob seine Eltern hinter dem stehen, was sie sagen.
Um frühzeitig zu verhindern, dass sich Komplexe bilden oder festigen, sollten Eltern ihr Kind immer wieder ermutigen, sich etwas zu trauen, ihm Aufgaben übertragen, die es altersgerecht schaffen kann und ihm vertrauen. Besonders wichtig ist, dem Kind keine Vorwürfe zu machen, wenn es scheitert oder einen Fehler macht. Es braucht dann Unterstützung und Hilfe, damit es die Aufgabe doch noch bewältigen kann. Nur durch die immer wiederkehrende Erfahrung des Erfolges – und dabei ist es langfristig egal, ob ihm jemand geholfen hat – wächst das Selbstwertgefühl und stabilisiert sich.
Minderwertigkeitskomplexe in der Pubertät
Die Grundlage für ein stabiles Selbstwertgefühl ist innere und äußere Sicherheit. In der Pubertät kommt diese Sicherheit stark ins Wanken. Zum einen verändert sich der Körper, durch die Verlagerungen im Hormonhaushalt kommt es auch im Denken und Fühlen des Jugendlichen zu neuen und überraschenden Entwicklungen. Das Kind kennt sich selbst nicht mehr. Auch die Resonanz der Umwelt verändert sich. Eben war das Kind noch Kind, jetzt wird es teilweise schon wie ein Erwachsener behandelt, die Anforderungen steigen und das vielleicht schneller als sich der Jugendliche eigentlich entwickeln kann. Es entsteht ein einziges Durcheinander, in dem sich das pubertierende Kind kaum mehr einschätzen kann. Hinzu kommen der Gruppendruck aus der Klasse oder Clique und die Orientierung an gängigen Schönheitsidealen. In dieser Zeit können oft starke Minderwertigkeitskomplexe entstehen, die bis in die Depression führen können. In dieser Zeit ist es schwer, seinem Kind zu helfen. Es muss weitgehend alleine mit der Situation klarkommen. Was Eltern tun können, ist Dasein und ihrem Kind vermitteln, dass sie es lieben und ihm vertrauen.
„Nobody is perfect“ - das gilt auch für die Elternschaft. Eltern wollen immer das Beste für ihr Kind und scheitern oft an ihren eigenen Unzulänglichkeiten und Prägungen. Mit einem offenen Auge für das Kind und seine Bedürfnisse und auch für die eigenen Schwächen ist ein guter Grundstein gelegt, damit aus dem eigenen Kind eine selbstbewusste Persönlichkeit wird.