„Marina wälzt sich auf dem Boden, kreischt und zuckt, dass man glaubt, sie hätte einen epileptischen Anfall! Dabei wollte ich ihr nur ihre Schuhe zubinden“ Solche und ähnliche Berichte hört man von Eltern mit Zweijährigen häufig. Die „Terrible Twos“ nagen an der Substanz – Überlebensstrategien für Eltern müssen her.
The „Terrible Twos“ oder wie Zweijährige Eltern an ihre Grenzen bringen können
Zum Ende des zweiten Lebensjahres ist die Ich-Entwicklung in vollem Gange. Mit dieser Entwicklung einher geht das Erwachen des Willens und der kann bei unseren Jüngsten eisern sein. Unnachgiebig und mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln versuchen sie, diesen Willen auch durchzusetzen. Das Einzige, was uns Eltern davor bewahrt, handgreiflich zu werden, ist unsere Disziplin – von der Liebe zum Kind bleibt in diesen Situationen nicht viel übrig.
Wissen, was läuft
Wenn die Terrible Twos ihre Terrorakte anzetteln, stellt sich uns Eltern immer wieder die Frage: „Was habe ich denn bloß falsch gemacht?“ Selbstvorwürfe und auch Vorwürfe an die Partnerin können die Beziehung belasten. Das ohnehin dünne Nervenkostüm kann endgültig zerreißen, wenn sich dann noch die lieben Verwandten mit guten Ratschlägen einmischen.
Was wirklich hilft und die ganze Angelegenheit ungemein entspannt, ist Wissen. Eltern, die über diesen Entwicklungsschritt ihres Kindes gut informiert sind, können sie um einiges gelassener überleben. Denn das Kind ist nicht böse oder frech und die Eltern haben nicht in der Erziehung versagt: Es ist einfach nur eine Phase, die auch wieder vorbeigehen wird.
Was passiert nun aber im Gehirn des Kindes, warum flippt es in allen denkbaren und undenkbaren Situationen so hemmungslos aus? Mit dem Ende des zweiten Lebensjahres merkt das Kind immer mehr: Ich bin ja ich, ich bin nicht Mama und nicht Papa, sondern ein eigenständiges Wesen. Durch diese Erkenntnis erwacht ganz zwangsläufig der Wunsch nach Autonomie – das liegt in unserer Natur und sichert das Überleben der Art. Es muss eine Loslösung von den Eltern erfolgen und die ist nur möglich, wenn eigene Entscheidungen getroffen werden. Wir Eltern sind zu diesem Zeitpunkt allerdings oft noch ganz anderer Meinung. Wir wissen am besten, was gut für unser Kind ist und wollen es dahingehend lenken. Dass hier Welten aufeinander prallen, ist also nicht besonders verwunderlich. Das Kind stößt bei der Umsetzung seines Wunsches, sich zu entfalten, ständig auf Grenzen – natürliche und durch die Eltern gesetzte. Das macht es unglaublich wütend, aber auch verzweifelt, denn es möchte gleichzeitig ja auch, dass die Eltern mit dem, was es tut, einverstanden sind. Aus diesem Konflikt entstehen die heftigen Wutanfälle, wegen denen Zweijährige im englischen Sprachraum auch „Terrible Twos“ genannt werden.
Lernen fürs Leben
Die Erfahrungen, die ein Kind in dieser Phase macht, prägen es für sein restliches Leben. Optimalerweise lernt ein Kind, dass ein eigener Wille gut und richtig ist und dass es Entscheidungen treffen kann und muss. Konflikte sind anstrengend und belastend, aber nicht lebensbedrohlich und eine andere Meinung zu haben, führt nicht dazu, dass man nicht mehr geliebt wird. Eltern halten es aus, die ausgelebten Gefühle mitzuerleben und helfen dabei, mit diesen Gefühlen moderater umzugehen.
Zusätzliche Grenzen oder gar Bestrafungen wie Liebesentzug oder Sanktionen ändern an der momentanen Trotzphase gar nichts, führen aber dazu, dass wichtige Lernprozesse, die das Selbstbewusstsein bilden, negativ unterstützt werden. Aufmerksamkeit, Zuwendung und Verständnis seitens der Eltern sind in dieser Zeit dringend notwendig, denn sie haben Auswirkungen fürs ganze Leben und die Persönlichkeit des Kindes.
Nach dem Wutanfall
Die Trotzphase ist zum Teil auch inneren Veränderungen geschuldet. Die Drüsensekretionen verändern sich, die Folge davon ist eine innere Verwirrung, zeitweilige Konzentrationsschwäche und Stimmungsschwankungen, wie sie später auch in der Pubertät vorkommen. Das Kind wird von seinen Gefühlen quasi besetzt und ist ihnen völlig hilflos ausgeliefert. Wie ein Gewitter entladen sich die querschießenden Emotionen in einem Wutanfall.
Im Anschluss daran sind Kinder häufig extrem anlehnungsbedürftig und wollen in den Arm genommen und getröstet werden. Das ist nicht immer leicht, gerade wenn man selbst wütend und aufgebracht über das Verhalten des Kindes ist. Stellen Sie sich vor, Ihr Kind könnte Ihnen in diesen Momenten folgendes sagen: „Was ist nur mit mir los? Ich verstehe die Welt gar nicht mehr und in mir ist ein totales Durcheinander!“ Was würden Sie sich wünschen, wenn Sie sich so fühlen würden? Sicher auch die Nähe und Geborgenheit, die sich jetzt Ihr Kind von Ihnen braucht und nicht noch zusätzliche Vorwürfe, Zurückweisungen oder Bestrafungen.
Dem Kind helfen heißt, sich selbst helfen
Es ist eine unglaubliche Gratwanderung: Verständnis und Zuwendung zeigen auf der einen Seite, sich nicht terrorisieren lassen auf der anderen. Denn eins soll das Kind in der Trotzphase sicher nicht lernen: Dass es tun und lassen kann, was es will und durch seine Wutausbrüche seinen Willen durchsetzt. Was kann man also tun, um sich selbst seinen gesunden Geist zu bewahren und dem Kind die so wichtigen Grenzen aufzeigen ohne dabei aber aufzuhören, es respekt- und liebevoll zu behandeln?
- „Weniger ist mehr“ Beschränken Sie die Liste der Grenzen und Regeln auf das unbedingt nötige, um unnötiges Konfliktpotential zu vermeiden. Diese Grenzen sind aber konsequent einzuhalten.
- Seien Sie klar. Sagen oder zeigen Sie Ihrem Kind, was Sie von ihm erwarten, verschonen Sie es aber mit endlosen Erklärungen oder Strafpredigten.
- Bleiben Sie berechenbar. Ihr Kind ist ohnehin verwirrt. Je klarer Sie sind und je mehr Ihr Kind Sie einschätzen kann, umso sicherer fühlt es sich.
- Vergessen Sie nie, dass Ihr Kind das, was es jetzt lernt, für den Rest seines Lebens verinnerlicht.
- Machen lassen. Lassen Sie Ihr Kind so selbstständig wie möglich agieren und richten Sie sich dabei nach seinem Tempo.
- Holen Sie sich rechtzeitig Unterstützung und lassen Sie sich beraten, wenn Sie nicht mehr zurecht kommen.
Die „Terrible Twos“ sind eine schwierige Phase in der Eltern-Kind-Beziehung, manchmal kaum auszuhalten. Erinnern Sie sich immer wieder daran, dass diese Zeit vorübergeht und dass Ihr Kind nicht böse ist. Versuchen Sie nicht, sich endlos zu beherrschen, sondern lassen Sie es auch wissen, dass Sie verärgert oder sauer sind. Nur zeigen Sie ihm immer wieder, dass Sie nicht Ihr Kind, sondern sein Verhalten ärgerlich macht.