Drei Kinder morgens pünktlich bei verschiedenen Betreuungseinrichtungen abliefern – für Eltern eine echte Herausforderung. Bei all der Hektik kann man schnell die schönen Momente des Lebens aus den Augen verlieren, wenn einen nicht die Kinder daran erinnern würden, wie Autor Andreas Clevert am eigenen Leib erfuhr.
Die große Entschleunigung – wie meine Kinder mich den richtigen Blick auf die Zeit lehrten
Derzeit habe ich das zweifelhafte Vergnügen, morgens den Nachwuchs alleine in seine Kitakindergartengrundschule zu bringen. Im Beruf würde das als "Herausforderung" umschrieben werden. Im Privaten nennt man die Dinge eher beim Namen: Riesenstress.
Generalstabsmäßig werden bis Mitternacht des Vortags die notwendigen Dinge vorbereitet: Frühstückstisch gedeckt, Vesperdosen parat, Klamotten vorbereitet. Und an den drei Garderobenhaken hängen schon die Taschen bzw. Schulranzen mit passenden Mützen, Schals und Jacken.
Ab halb sieben läuft der Countdown bis zum Schulgong um acht (Nummer 1). Kindergarten eine Ecke weiter (Nummer 2) und auf's Rad mit Nummer 3 zur Kita bis zur Deadline um neun. Wenn ich dann im Büro eintrudele, kann es eigentlich nur besser werden.
Ein wilder Ritt trotz bester Vorbereitung und Zeitpolstern
Und trotz aller Vorbereitung und allen Zeitpolstern gleichen sich diese Morgen häufig. Sie ähneln einer schlingernden Kutschfahrt, bei der ich drei wildgewordenen Pferden mit Zuckerbrot und Peitsche ihren Weg weisen muss.
Muss?
Schule und Kindergarten ja, das schaffe ich mit dem Schulgong im Rücken nicht anders. Aber Kita für den Kleinen? Bis neun habe ich doch da Luft. Denke ich heute morgen, als ich, schon zwei ab- und ausgeliefert, mich gerade mit Nummer 3 auf's Rad schwingen möchte. "Bagger!" ruft es da nämlich hinter meinem Rücken. Und plötzlich denke ich mir. Recht hast Du, kleiner Mann. "Bagger!" - das ist jetzt das Allerwichtigste. Eine Riesenbaustelle, gleich bei uns um die Ecke. Und mir fällt ein, wie wir mit der damals noch kleinen Nummer 1, stundenlang verschiedenste Baustellen abgeklappert hatten. Am Bauzaun hebe ich Nummer 3 vom Rad und nehme ihn für den besseren Überblick auf die Schultern. Ein kleiner und ein großer Bagger wuchten mal schwer brummend, mal leichtfüßiger, die Dinge hin und her. Und wir schauen. Schon lustig, wie filigran der kleine Bagger da seine Schaufel lösen, drehen und mit seinem Arm zart schiebend wieder festhaken kann. Ach ja, und ich weiß noch, wie wir damals mit Nummer 1 sooo lange an einer Baustelle standen, bis meine Augen so tränten. Der Staubkornentfernung wegen wurde ich bei unserer Augenärztin vorstellig. Ich traute mich natürlich nicht, ihr zu sagen, ähm, wir standen zu lange an der Baustelle, wissen Sie, da hinten, wo der Baumarkt hochgezogen wird. Murmelte lieber was von handwerklichen Tätigkeiten und fehlender Schutzbrille.
Und morgen geht’s zum Ententeich
Und so stehe ich am Bauzaun und denke und träume in den Tag hinein. In der Stille, die mir gar nicht bewußt wurde, höre ich plötzlich Nummer 3: "Papa. Bagger nicht arbeiten. Bagger Pause. Komm!" Ich lache in mich hinein, schwinge mich auf's Rad und denke mir, morgen halten wir an dem Ententeich, der auch auf unserer Wegstrecke liegt und packen vorsichtshalber ein altes Brötchen ein.
Zuckerbrot und Peitsche sollte ich öfter mal weglegen. Geht doch so viel besser. Habe meine Lektion gelernt.
zum Autor:
Andreas Clevert, Jahrgang 1970, ursprünglich aus Esslingen stammend, lebt mit seiner spanischen Frau und seinen drei Jungs/Söhnen (*2008, *2010 und *2013) in Bonn. Mehr von seinen Erlebnissen lesen Sie unter www.vaterdasein.wordpress.com