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Papa, was ist eigentlich morgen? - Die Entwicklung des Zeitgefühls bei Kindern

Wer kennt das nicht – man hat es eilig, steht bereits in den Startlöchern und das Kind trödelt immer noch mit Jacke und Schuhen herum. Oft nehmen Eltern das persönlich und legen die Langsamkeit des Kindes als Provokation oder mangelnde Kooperationsbereitschaft aus. In Wahrheit haben Kinder ein noch unentwickeltes Zeitgefühl, das sich sehr von dem der Erwachsenen unterscheidet.

Kinder leben im Hier und Jetzt und die Entwicklung eines Zeitgefühls, das sich nach der Uhr richtet, dauert Jahre. Das Bewusstsein in der Gegenwart zu halten, ist für Kinder lebensnotwendig, denn nur so können sie alles aufnehmen, was für das Leben wichtig und manchmal sogar überlebenswichtig ist. Die Entwicklung des Gefühls für die Zeit läuft im Allgemeinen in vier unterschiedlichen Stufen ab.

 

Von 0 bis ins 3. Lebensjahr

Von der Geburt bis ins dritte Lebensjahr wird die vergehende Zeit immer mit Handlungen in Verbindung gebracht. Kinder können zeitliche Abläufe in ihrer Reihenfolge erfassen. So weiß zum Beispiel schon ein zweijähriges Kind, dass man erst die Zahnpasta aufträgt, dann die Zähne putzt und anschließend den Mund ausspült. Vom Vergehen der Zeit selbst, also für die Zeitdauer, haben Kinder in diesem Alter jedoch noch keine Vorstellung. Der Tag ist nicht in 24 Stunden eingeteilt, sondern in Schlafens-, Essens- und Spielphasen. Je strukturierter ein Tag ist, desto besser und früher wissen Kinder, ob es morgens, mittags oder abends ist.

Vom 4. bis zum 7. Lebensjahr

Kinder beginnen in diesem Alter das Vorhandensein von Zeit zu erahnen. Allerdings messen Kinder die Zeit nach dem, was sie sehen. Ein großer Hund ist älter als ein kleiner, bei zwei Fahrzeugen, die in der gleichen Zeit unterschiedliche Strecken zurücklegen, ist das Auto länger gefahren, das weiter gefahren ist. Das gleiche gilt für das Lesen der Uhr. Sechsjährige können schon die Uhr lesen, einen echten Zeitbegriff haben sie deshalb trotzdem nicht. Zeit hat etwas mit den Lebensumständen zu tun und danach wird sie auch gemessen und eingeschätzt.

Grundschulalter

Aus der Erfahrung heraus wissen Kinder jetzt, dass die Zeit überall gleich gültig ist und gleich gemessen wird. Sie wissen, dass die Zeit auch an Orten vergeht, an denen sie sich gerade nicht aufhalten. Kinder können jetzt auch Zeitabschnitte miteinander vergleichen und Unterschiede in der Dauer erkennen. Sie bekommen eine erste Ahnung der Bedeutung von Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit. Die Einordnung der Zeitabschnitte in die richtige Relation ist allerdings noch schwer: So kann es durchaus passieren, dass ein Sohn, dessen Vater ihm gerade vom Leben der Ritter oder Indianer erzählt, nachfragt, welches Pferd Papa denn damals geritten hätte.

Ab dem 9. Lebensjahr

Erst jetzt können Kinder Zeitdauer abschätzen und das Zeitgefühl ähnelt mehr und mehr dem der Erwachsenen. Leider geht damit oft auch das so kostbare Empfinden für den Augenblick verloren.

Ändern können Eltern an diesen Entwicklungsphasen nichts. Es gibt jedoch verschiedene Strategien, mit denen der Alltag und das Einhalten von Terminen trotz des trödelnden Kindes entspannt und gutgelaunt ablaufen.

Strategien zum Umgang mit der kindlichen Zeit

An allererster Stelle ist Geduld angesagt und das Bewusstsein, dass die Trödelei keine böse Absicht des Kindes ist. Ständige Ermahnungen zur Eile sind ebenso fruchtlos wie Schimpfen oder Strafen. Hilfreicher ist es dann, Ihrem Kind zu helfen oder es zu höherer Geschwindigkeit zu motivieren. So kann das Anziehen zu einem freundschaftlichen Wettstreit werden, durch den Ihr Kind dann ruckzuck angezogen und gut gelaunt als erstes an der Tür steht. Für etwas größere Kinder sind Anhaltspunkte hilfreich. Mit einem Kurzzeitwecker kann man dem Kind die Zeit erfahrbar machen, die noch zum Spiel zur Verfügung steht. Klingelt der Wecker wird es Zeit zum Zähneputzen und ins Bett gehen. Wartet Ihr Kind auf etwas, zum Beispiel auf den Geburtstag, kann das Adventskalenderprinzip angewandt werden. Jeder vergehende Tag wird gekennzeichnet – hier reichen auch schon Kugeln auf einem Blatt Papier aus, von denen das Kind jeden Tag eine durchstreichen darf.

Rituale verbessern das Zeitgefühl des Kindes. Lassen Sie sich wiederholende Vorgänge immer gleich ablaufen. Dies schließt das abendliche Schlafengehen ebenso ein, wie den morgendlichen Aufbruch zum Kindergarten. Nach einer Weile werden Sie feststellen, dass immer gleiche Abläufe schneller gehen und das ganz ohne Protest. Das wichtigste von allen ist, dass Sie ausreichend Zeit einplanen. Selbst wenn das Kind nicht trödelt, gibt es immer wieder Unvorhersehbares wie zum Beispiel eine volle Windel, ein umgestoßenes Glas Milch oder ein in den Matsch gefallenes Kind, das eben nochmal komplett umgezogen werden muss.

Geduld, Verständnis und gute Organisation machen den Alltag mit Ihrem Kind entspannt. Sie sollten allerdings ab und zu die Gelegenheit nutzen und mit in die Welt Ihres Kindes eintauchen. Das Leben im Hier und Jetzt kann wie ein entspannender Kurzurlaub wirken und hilft dabei, das eigene Kind besser zu verstehen.