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Richtige Scheißnamen – über die Verantwortung von Eltern bei der Namensgebung für ihre Kinder

Im durchaus liebenswerten Versuch, ihre Kinder so besonders zu benennen wie sie für sie selbst sind, geben immer mehr Eltern ihren Kindern richtige Scheißnamen. Nicht nur englischsprachige Prominente werfen mit „Apple“ und „Peaches“ um sich. Auch deutschsprachige Eltern rüsten namenstechnisch auf. Aber ist das wirklich so viel schlimmer, als die 5. Marie in der Klasse zu sein?

 

In Deutschland können wir eigentlich ganz zufrieden sein. Gelegentlich ärgern wir uns darüber, dass es für alles und jeden Regeln und Vorschriften gibt, aber im Grunde wissen wir dadurch, wer wir sind und lassen uns zumeist davon abhalten, ausgesprochen dumme Entscheidungen zu treffen. In den USA ist das anders. Da erwartet die Bevölkerung, dass der Staat die Post zustellt, die Kriege gewinnt und sich ansonsten aus allem anderen raushält. Auch aus der elterlichen Entscheidung, welchen Vornamen ein Kind zu tragen hat. Neben mehr oder weniger gewöhnlichen Namen werden die Sprösslinge von Sci-Fi-Fans schon mal Obi-Wan Kenobi genannt. Andere tun ihrem Nachwuchs Namen wie GoldenPalace.com an, wenn sie damit ein bisschen Geld machen können. Früchte, Städte, Länder, Phantasiewesen und Beschimpfungen – alles kein Problem, wenn man sich als US-amerikanisches werdendes Elternteil etwas in den Kopf gesetzt hat. Da freundet sich die kleine Strawberry Shortcake mit dem ein Jahr jüngeren Rambo aus dem Nachbarhaus an, während ihre Eltern sich daheim ihre Lieblingssendung How I met your mother anschauen, in der das sympathische Pärchen Lily und Marshall ihrem Erstgeborenen aufgrund einer Wette den Zweitnamen Waitforit verpassen. Im Fernsehen ist das irgendwie noch witzig. Aber für die 15.000 Dollar, welche die Eltern von Goldie (zum Glück kann man das abkürzen) für ihre Schnapsidee bekommen haben, hat der Junge sicher eine Menge Spaß.

„Das Kind wird es später mal schwer haben“

In Deutschland ist das anders. Hier sind Eltern wegen der herrschenden Gesetze dazu gezwungen, ihrer unbändigen Individualität (und der ihres Kindes) subtiler Ausdruck zu verleihen. Hier dürfen Namen zwar nicht nach Webseiten, Actionfiguren oder Düngemittel klingen, dafür aber nach Freiheit, Weltläufigkeit oder Tradition.
Die Eltern von Mindy, Cindy, Candy oder Chantalle-Christine wollten möglicherweise nur mal woanders als in ihren Plattenbauten wohnen. Mike, Meik und Maik gründen später vielleicht eine Boyband, wenn sie sich auf die Schreibweise des Bandnamens einigen können. Und dem Vater von Notburg (ja, wenn man das auf dem Standesamt ohne Lachanfall sagt, darf ein Mädchen so heißen), waren unter Umständen diese ganzen neumodischen Namen zu beliebig und nichtssagend.
Das sind dann die Fälle, in denen Freunde und Verwandte hinter dem Rücken der Eltern sagen: „Das Kind wird es später mal schwer haben!“

Mag sein, dass es so kommt. Und gewiss ist es eine gute Idee, sich in der Namensfindungsphase ein wenig Zeit dafür zu nehmen darüber nachzudenken, ob man mit seiner möglichen Wahl sein Kind zur Zielscheibe von Spott und Häme macht. Das kann aber auch bei Namen der Fall sein, bei denen Sie niemals drauf gekommen wären. Benjamin (Blümchen), Nils (Holgersson) und andere könnten Ihnen ein Lied davon singen.

Eltern tragen die Verantwortung für ihre Kinder – auch bei der Namensgebung

Aber ist es nicht mindestens genauso fahrlässig, sich dafür verantwortlich zu zeichnen, dass Laura, Paul, Leon, Mia und Finn alle mindestens ein halbes Dutzend Kinder kennen, die genauso heißen wie sie? Und wer hat später schlechtere Laune: Jonas oder Navarone?

Eltern tragen für ihre Kinder die Verantwortung. Das beginnt nicht mit der Wahl des Vornamens und ganz gewiss endet es nicht damit. Das sollte sie aber dazu veranlassen, in all der Freude und dem Überschwang einmal tief durchzuatmen und weder in die Absurdistan- noch in die Gemeinplatzkiste zu greifen. Dann heißt ihr Kind vielleicht nicht Wolke oder Agamemnon, kann aber später ein bisschen entspannter es selbst sein. Und wenn es doch unbedingt Emma oder Luca sein müssen – dafür gibt es ja zweite Vornamen.  

Nils Pickert, Jahrgang 1979, gebürtiger (Ost-)Berliner, lebt und arbeitet als freier Autor und Texter in Norddeutschland. Er ist passionierter Koch und Vater zweier Kinder.