Wie plötzlich man nach 38 Schwangerschaftswochen Eltern werden kann, das wurde uns erst eine Woche vor dem 07.08.09, den Geburtstag unserer Zwillinge bewusst. An dem Tag hatten wir wieder einen Termin in der Uni Klinik in Köln, in der wir entbinden wollten. Uns hatte das grüne, freundliche Ambiente ebenso auf Anhieb gefallen, wie die herrlich entspannten und freundlichen Schwestern.
Plötzlich Papa
Da sich die Gewichtsentwicklung unseres Zwillingsnachwuchses in den letzten Wochen unter-schiedlich entwickelt hatte, mussten wir eh jeden Tag entweder bei der Frauenärztin oder in der Uni Klinik zum Herzfrequenzmessen und alle paar Tage per Ultraschall die Entwicklung der Beiden beobachten lassen.
An jenem Tag also meinte unser Professor, dass das alles ganz gut aussähe und er auf jeden Fall nächsten Freitag die Beiden per Kaiserschnitt holen lassen würde.
"Äh, wie jetzt ? Nächsten Freitag schon ?" - Ja, dann sei die 38. SSW erreicht und angesichts des fortgeschritten verkalkten Mutterkuchens das Maximum für die Beiden erreicht. Wann wir denn Zeit hätten … Vormittags ?
"Ja gut, Vormittags." - "Ok, dann kommen Sie mal um 7 Uhr vorbei."
Als er den Termin notierte und seine Sekretärin informierte, dass wir nächste Woche dran seien, verspürte ich (und ich glaube meine Frau auch) eine gewisse Art Panik. Wie ? In einer Woche ? Äh, uh, oh, das geht aber schnell. Mit einem Mal wurde etwas, das nun über Monate zwar klar war, dann aber schnell zur Gewohnheit wurde, zur Gewissheit...Wir sollten nächste Woche Eltern werden.
Es mag komisch klingen, aber wir waren davon reichlich überfahren und brauchten noch gut ein paar Stunden, bevor wir das an unsere Eltern weitergaben, die nicht minder aufgeregt klangen.
Was alles der Herr Professor erzählt hat, weiß ich nicht mehr, mir ist nur der Satz "was dann kommt, darauf kann Sie keiner vorbereiten" in Erinnerung geblieben. Er sollte Recht behalten, wenngleich ich ihm damals nicht glaubte. Schließlich waren wir sehr gut vorbereitet. Wir hatten eine Menge guter Bücher gelesen, hatten uns mit anderen jungen Eltern ausgetauscht, schon mal deren kleinen Babys im Arm gehalten und wurden mit Ratschlägen überhäuft.
Insbesondere "schlaft schon mal vor" und "macht schon mal Rückengymnastik". Ausschlafen ging nicht mehr, weil wir nun auf einmal noch soviel zu erledigen hatten. Wir hatten mit hekti-schen Hühnern einiges gemeinsam. Immerhin mussten noch diverse Wäschberge, die wir von Freunden geschenkt oder günstig bekommen hatten, nach Größen sortiert werden. Weiter hin mussten wir jeden Tag zur Herzfrequenzmessung und wirklich jede Autofahrt durch Köln wurde für meine Frau immer mehr zur Qual, weil jede Bodenwelle Schmerzen verursachte. Und wir haben hier in Köln unzählbar viele Bodenwellen. Die fallen einem sonst nicht auf … aber mit ei-ner schwangeren, schmerzverzerrten Frau auf der Beifahrerseite spürt man die Welle bevor man sie überfährt.
Mittwoch nachmittag klingelte das Telefon, die Uniklinik war dran und fragte nach, ob wir nicht auch schon morgen zur Entbindung kommen wollten. Am Freitag sei sehr viel los.
Nein, wollten wir auf gar keinen Fall … wir hatten uns dermaßen auf den Freitag eingerichtet, dass ein Vorziehen geistig nicht zu machen war. Außerdem hatten wir noch verschiedene Ter-mine auf den Donnerstag gelegt. Ja, aber es könne dann am Freitag bis mittags dauern … Nein, egal, Donnerstag geht auf gar keinen Fall. Schon gar nicht mit einem Tag Vorlaufzeit. Da sträubte sich alles in uns … und schließlich wollten wir den letzten gemeinsamen Abend noch nett verbringen. Am vorletzten Abend waren wir sogar noch im Kino Harry Potter schauen.
Der letzte Abend kam nach einem langen, hektischen Donnerstag, weil sich auch bei mir noch ein paar Termine verlängerten, die Koffer noch gepackt werden mussten und alles irgendwie unwirklich wirkte. Morgen also sollten wir Eltern werden. Aha.
Um um 7 Uhr an der Klinik zu sein, mussten wir um halb sechs aufstehen und waren noch vor dem Wecker wach. Wir waren ziemlich aufgeregt, bekamen nichts zum Frühstück gegessen außer einem Glas Wasser. Wir hatten zwei Taschen (statt Koffer) gepackt, weil uns der Professor ein Familienzimmer versprochen hatte, überprüften noch mal alles (Kamera: SD-Karte drin, Akkus geladen und dabei, Checkliste für die Sachen meiner Frau abgehakt, was zu lesen, was zu essen) und als ich noch das Notebook einpackte, hätte mich meine Frau fast gesteinigt.
Ich hatte noch für ein laufendes Projekt um die 80 Seiten zu schreiben und meinte, dass ja zwischendurch sicherlich Zeit zum Schreiben sei. Dem steinigenden Blick entgegnete ich, dass ich das Notebook ja auch erst mal im Wagen lassen könne … Kopfschüttelnd ging sie mit ein paar Sachen unter dem Arm los, während ich mit dem ganzen Taschenrest hinterher ging. Wir waren viel zu aufgeregt, um sich über die Notebooksache aufzuregen und uns weiter darum Gedanken zu machen …
Als wir los fuhren schien schon die Sonne, der Himmel war blau, ein toller Tag. Für den heutigen Tag ist Sonne und der heißeste Tag der Woche angekündigt ... 32°C sollen es werden. Wir hoffen, dass im Kreißsaal nicht so warm ist :-)
Nach kurzer, wie immer freundlicher Begrüßung, bekommen wir ein Wartezimmer zugewiesen und meine Frau darf sich schon mal umziehen. Ich grinse, weil sie so ein hübsches Leib´chen anziehen muss. Immerhin sind viele kleine Punkte drauf, so dass es eigentlich recht nett aussieht ... Eine Viertel Stunde später schneit eine fröhliche junge Schwester herein und meint, dass meine Frau gleich zur Anästhesie abgeholt werden kann, weil sie ein paar Operationen nach hinten verlegen konnten. Vorher müsse jedoch noch der Katheter gelegt werden. Der erste saß nicht ganz richtig und musste neu gelegt werden. Dabei gab es einen mittelgroßen Blutspritzer und ich dachte, ich kippe jetzt schon um. Mir war in den nächsten 10 Minuten total flau und ich fragte mich, ob die Entscheidung mit bei der Geburt zu sein, nicht vielleicht etwas zu heroisch war. Dann aber fiel mir ein, dass wir ja nichts gegessen hatten und die Aufregung dazu wohl das gleiche flaue Gefühl vermittelt und machte heimlich, leise Atemübungen um mich zu beruhigen. Kurz nachdem ich meinen Puls wieder sortiert hatte, wurde meine Frau abeholt und ich mitgezogen, damit auch ich einen neuen Dress bekomme, den in grün .. jetzt grinst meine Frau.
Während ich in der kleinen Kammer in der Nähe des Operationsraumes die grünen Klamotten drüber werfe und mit der Mundmaske hadere, weil mir beim Ausatmen immer die Brille be-schlägt, fange ich an ein paar Faxenfotos zu machen.
Ansonsten bin ich sonderbar ruhig und nichts in mir wirkt, als würde sich gleich mein ganzes Leben ändern wollen. Eigentlich sollte ich nervös sein. Bin es aber nicht. Ich bin nur froh, dass sich meine Brillengläser nicht mehr beschlagen.
Ich komme grün bekleidet raus und darf im Raum gleich neben dem Operationsraum Platz nehmen. Von nebenan höre ich, wie meiner Frau die Spritze in den Rücken gelegt wird. Wie sie gelobt wird, wie sie jetzt den Rücken ganz krumm machen solle, jaaa, so wäre das priiima.
Lange sitze ich da nicht (ca. 10-15 Minuten) und sehe einige Schwestern und Ärzte vorbeihu-schen, Pager abfragen und telefonieren. Offensichtlich ist hier heute in der Tat Stress und viele Operationen angesetzt, doch die entscheidenden Leute bleiben ruhig und rufen sogar quer durch die Halle, dass man sie gerne später dafür hängen könnte, dass sie jetzt nicht ans Telefon oder in der Raum Xyz gehen würden, aber JETZT sei eine Zwillingssectio dran, und basta.
Kurz darauf höre ich auch schon die Frage "Wenn sie immer noch möchten, können sie jetzt zu ihrer Frau". Klar, möchte ich. Da ich noch kein Babygeschrei höre, hoffe ich, dass sie noch nicht angefangen haben. Ich hatte lediglich befürchtet zu spät dazu gerufen zu werden.
Von meiner Frau bekomme ich nur ein bisschen Oberkörper, Kopf und die beiden Arme zu se-hen. Der Rest ist hinter einem Zelt aus grünem Stoff verborgen. Die ganzen Leute nehme ich kaum wahr, außer der Anästhesistin, mit der wir schon im Vorfeld sehr nett gesprochen hatten, sowie ihre Assistenten. Sie hatte damals im Vorgespräch meiner Frau die Angst vor dem Kaiserschnitt nehmen können und gemeint, sie würde uns schon vollquatschen und damit ablenken.
Schnell sind wir im Gespräch mit eben jener Anästhesistin und erfahren von anderen Geburten u.a. von einer Patientin die sich sicher war, dass sie ein Mädchen bekäme und sich nach den ersten Tönen einem kopfschüttelnden Arzt gegenüber sah, der fragte, warum in aller Welt sie diesen Jungen Florence nennen wolle. Ah und da sehe ich schon die Beine ...
Hä ? Fragen Kim und ich uns gleichzeitig und schauen uns fragend an, was denn für Beine ? Das passte nicht zur Geschichte, die sie gerade erzählte und im gleichen Augenblick kräht schon Tom. Noch während uns der Ton in den Ohren widerhallt ... wird mir der kleine Tom im Handtuch eingewickelt gereicht, damit ich ihn der Kim zeigen könne ... Es ist ein großes, weißes, weiches Handtuch und darin eingewickelt etwas irgendwie kleines, zusammengerolltes mit kleinem Mund aus dem mehr Lärm kommt, als man ihm zutraut. Ich bekomme den Kleinen in der Tat in die freie Hand gelegt, mit der anderen halte ich die Hand meiner Frau immer noch fest und mag sie kaum loslassen. Muss es aber, weil ich ihr den Kleinen zeigen will. Um uns herum nehme ich lächelnde, fröhliche Menschen wahr.
Während wir noch schauen ertönt ein höheres Schreien den Raum, wir schauen, Tom ist weg, jetzt ist da ein etwas kleineres Geschöpf ... die Jule ist da und ehe wir uns versehen, ist sie auch schon wieder weg.
Wie ? Das war´s ? Gerade eben noch schwanger, gerade eben noch Tom und dann Jule im Arm gehabt und dann sehen wir nur noch grün und hören ganz viele herzliche, ehrliche Glückwün-sche und hören im Hintergrund die Beiden krähen.
Mit einem Mal … sind wir also Eltern ...
Ich werde noch gefragt, ob ich zu den Kleinen oder bei meiner Frau bleiben wolle. Na, letzteres entscheide ich spontan und in Anlehnung an unseren Trauspruch (Wohin Du gehst, da will auch ich hingehen) und werde dafür gelobt, denn die Männer, die jetzt bei ihren Frauen blieben, seien den Schwestern und Ärzten die liebsten.
Es gäbe eine Menge Männer, die ihre Frauen ganz alleine im OP liegen lassen, sobald der Nachwuchs auf der Welt ist und stehen dann den Schwestern bei der Erstversorgung eher im Wege als sonst was. Und so schwatzen wir weiter mit der Anästhesisten, nehmen weitere Gratulationen der Ärzte und Schwestern entgegen und ebenso plötzlich wie eben noch Tom seinen ersten Ton heraus brachte, heißt es nun "Fertig". Das grüne Zelt wird abgebaut und die ganze grüne Umgebung löst sich auf. Der Oberarzt zieht sich rot-weiße Stiefel aus und ich nehme noch am Rande wahr, dass er kein FC-Fan ist … doch mir bleibt nicht die Zeit drüber nachzudenken
Während ich zu den Beiden gelotst werde wird meine Frau kurz darauf wieder in das Wartezimmer von eben zurückfahren ... Vom Zeitpunkt des Betretens der Uniklinik bis jetzt sind gerade mal 2 Std. 15 vergangen ... huii.
Die beiden wurden um 08.57 und 08.58 ans Tageslicht geholt. Jule ist ím Vergleich zu ihrem Bruder mit ihren 2.340 g etwas schmächtiger geraten und musste anfangs noch mit Sauerstoff und einer Lungenpumpe zum eigenen Atmen animiert werden ... Ein sonderbar hilfloser Anblick, von dem ich nicht weiß, was er mir sagen soll. Aber die Ruhe, die die Schwestern ausstrahlen scheint anzudeuten, dass nichts schlimmes sei. Tom dagegen krähte schon munter, als eine Schwester bei ihm Maß nimmt und das erste Foto schießt. Darauf sollte er genauso aussehen wie ich 39 Jahre zuvor.
Doch als ich ihn mit zu meiner Frau brachte, fing er sich schon wieder und schlief ein wenig. Sowohl bei ihr auf dem Bauch, als auch bei mir auf dem Arm oder auf dem Bauch, je nachdem wie ich gerade noch sitzen konnte. Bevor Jule dann zwei Etagen höher zur Überwachung weggebracht wurde, wurde sie von zwei Schwestern zu uns gebracht, lag ein paar Minuten bei meiner Frau auf dem Bauch, bevor sich dort wieder Tom breit machte.
Zwischenzeitlich war ich alleine bei Jule, ihr Tag sagen und ein wenig zu kraulen und zu zeigen, dass sie nicht alleine sei. Als ich ihr sagte, dass sie nächstes Jahr schon im Garten oder im Sandkasten spielen würde, meine ich sie grinsen gesehen zu haben ...
Da z. Zt. kein Familienzimmer frei ist und auch ein einfaches Doppelzimmer noch nicht frei war, haben wir bis ca. 17 Uhr die Zeit im Vorbereitungsraum verbracht, was wir sehr genossen ha-ben, weil es dort sehr ruhig war und wir unter uns waren. Wir haben keine Ahnung mehr, wie die Zeit vorbeiging, aber sie flog regelrecht vorbei. Das waren gut 7 Stunden intensivsten Familienseins.
Ernüchterung auf das Hochgefühl brachte die Nachricht, dass kein Familienzimmer frei sei. Dafür ein Doppelzimmer und in dem war es dann auch bis zum späten Abend unglaublich warm und schwül, was Tom wahrscheinlich auch dazu brachte, noch etwas mehr zu schlafen ...
Von 20 bis 21.30 Uhr waren wir beide (Kim und ich) bei Jule, während Tom im Schwesternzim-mer in seinem Schlafwagen blieb. Kim saß bei ihr und streichelte sie, redete mit ihr. Jule war mittlerweile ohne Lungenpumpe und atmete selber. Die Schwestern sind sehr zufrieden mit ihr, da sie sich nicht nur prächtig macht, sondern auch sooo süß ist. Ist sie auch! Sie bekommt z. Zt. noch eine Infusion und soll noch etwas in Beobachtung bleiben. Es sei aber nichts ernstes, sondern alle Werte richtig gut …
Gegen 23 Uhr muss ich leider nach Hause fahren, die Besuchszeit ist längst zu Ende und die Bettnachbarin wollte schlafen. Es tat mir in der Seele weh meine Frau alleine in der Klinik zu lassen. Tom wurde wieder ins Schwesternzimmer gerollt und Jule verbrachte die erste Nacht eh in Sonderbeoachtung.
Am nächsten Morgen war ich um 8 Uhr schon wieder da. Die Nacht habe ich fast durchgemacht … immerhin galt es alle Freunde zu informieren. Dazu habe ich unsere Hochzeitplanungshome-page überarbeitet und dort ein Tagebuch und eine Bildergalerie eingerichtet, sowie Emails an alle geschrieben.
Schlafen konnte und wollte ich nicht viel. Viel zu aufgeregt war ich … und lachen musste ich über das Notebook, das ich wieder mit nach Hause nahm, ich hatte nicht mal mehr daran ge-dacht es überhaupt mitgenommen zu haben.
An diesem Tag hat sich unser beider Leben komplett verändert und wir sind froh darüber :-)
Wer schon eigene Kinder hat, der weiß um das wohlige Gefühl, allen anderen sei gesagt, es ist ein wenig unbeschreiblich ... es ist unfassbar schön...
Noch schöner wurde es, als am Mittag des Folgetages Jule dazu kam und unsere Familie von dem Augenblick an richtig komplett war.
Und alle hatten Recht … die mit dem Schlafhinweis, die mit der Rückengymnastik und der Pro-fessor, dass einen nichts darauf vorbereiten könne.
Einige Wochen lang dachte ich, das könne man … dann aber wurde mir bewusst, dass es ebenso unmöglich ist, wie der Versuch zu beschreiben wie weh es tun kann, wenn man sich mit dem Hammer auf den Daumen haut. Man weiß, dass es weh tun wird. Und dennoch kann man sich nicht darauf vorbereiten ohne es bereits einmal erlebt zu haben ...
von ThomasH