Wie meine Tochter mir mit zwei Worten eine Riesenfreude gemacht hat

Mein Gott, was für eine Hitze! Ich war mit den Kindern auf dem Rückweg vom Saarland nach Köln, die Sonne knallte aufs Auto und die Klimaanlage war kaputt. Eigentlich waren es draußen nur 26 ° Grad, aber im Auto waren es 36 ° - wir schmorten im eigenen Saft. Dass wir in diesem lausigen Sommer überhaupt noch mal 36 ° erleben würden, hätte ich nicht gedacht. Und schon gar nicht so! 

Es lagen immer noch 200 Kilometer vor uns. Ich brauchte eine Pause, und die Kinder brauchten ein Eis, um den Rest der Strecke durchzuhalten. Also raus an der nächsten Raste. Als wir ausstiegen, sagte Natalie: „Papa, ich hab Muskelkater.“ 

Ich überlegte einen Moment. Wir waren zu Besuch bei meiner Tante gewesen und hatten uns nur vom Esstisch zum Sofa bewegt, dann zum Schlafen ins Bett und wieder zurück an den Esstisch. OK, ein kleiner Spaziergang war dazwischen, aber von Sport waren wir weit entfernt. 

„Ja, wovon denn?“ fragte ich. 

„Vom Schwitzen!“ meinte Natalie. 

Fredo und ich platzten vor Lachen. Das war wieder einer dieser Sprüche, die Natalie manchmal vom Stapel lässt. 

 

Als wir später zu Hause angekommen waren und uns im Freibad erfrischt hatten, war ich stolz auf Natalie. Dass sie diesen Esprit hat, ist für mich ein Wunder. Natalie hat das Down-Syndrom, eine sogenannte Behinderung. Bei ihr ist das 21. Chromosom nicht zweimal vorhanden, wie bei mir z.B., sondern dreimal. Daher wird Down-Syndrom von politisch korrekten Menschen auch Trisomie 21 genannt. Letztlich hat sie ein Chromosom mehr als wir.

Als Natalie auf die Welt kam, wussten wir von alldem nichts. Dass unser Kind das Down-Syndrom hatte und behindert war, hat uns geschockt. Wir hatten keine Ahnung, was das bedeutet und welche Perspektive unsere Tochter damit haben würde.

„Gar keine, wenn das Loch in ihrem Herzen nicht operiert wird“ meinte einer der Ärzte. Natalie hatte auch noch einen Herzfehler, der aber immerhin operiert werden konnte. Es gibt auch inoperable Herzfehler. Also war unsere nächste Station die Uniklinik. Wir hatten keine Zeit, über die Behinderung unserer Tochter zu jammern oder mit unserem Schicksal zu hadern. Wir sorgten dafür, dass Natalie in der Klinik rund um die Uhr immer von einem von uns betreut wurde, und zwar über Monate – so lange, bis sie groß genug war, um operiert zu werden und sich von dieser OP erholt hatte. 

In den Momenten, in denen wir mal zu uns kamen, haben wir natürlich trotzdem gejammert und gehadert. Aber das bisschen hat auch gereicht. 

 

Als wir unsere Tochter schließlich mit nach Hause nehmen konnten, waren wir froh, dass sie lebte. Und unser Leben wurde ein anderes. Kinder krempeln das Leben ihrer Eltern sowieso schon um, Kinder mit Down-Syndrom drehen es sozusagen auf links. Viele unserer Einstellungen änderten sich. Was ist wichtig im Leben, und was nicht? Worin besteht Lebensqualität? Wie wollen wir miteinander umgehen? Diese Liste ließe sich noch eine Weile fortsetzen.

Nun, wir haben in den folgenden Jahren einiges getan, um Natalie zu fördern. In dieser Hinsicht kann man heutzutage eine Menge tun, Gott sei Dank. 

 

Heute ist Natalie 13 und macht sich prima, sie geht in die 7. Klasse einer integrativen Gesamtschule in Köln. Sie kann lesen, schreiben und rechnen; auch wenn es länger gedauert hat und sie dabei immer noch ihre Schwierigkeiten hat und haben wird. Aber sie hat es gelernt. 

Ihr Hobby ist Zirkustraining in einem Kinder- und Jugendzirkus, ihre Spezialität ist Luftakrobatik am Trapez oder am Vertikaltuch. So etwas mit der niedrigen Körperspannung zu schaffen, die viele Menschen mit Down-Syndrom haben, ist schon eine beachtliche Leistung. 

Alles in allem hat Natalie heute ein Leben, das ich nach ihrer Geburt nicht für möglich gehalten hätte. Und dann bringt sie manchmal einen dieser Sprüche, mit denen sie uns verblüfft und amüsiert. „Vom Schwitzen!“ Dass man davon Muskelkater kriegen könnte, hat uns aber nicht nur zum Lachen gebracht. Es hat uns auch gezeigt, dass sie ein wichtiges Prinzip verstanden hat: Wenn man dem Körper zu viel abverlangt, rächt er sich mit einer Reaktion wie Muskelkater. 

 

Darum habe ich mich über diese zwei Worte meiner Tochter so sehr gefreut.

 

 

Autor: Konstantin Dedreux

 

 

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