© Natalia Chircova - Fotolia.com

UNICEF-Studie: Wie gut geht es Kindern in Deutschland wirklich?

Fast jeden Tag streiten sich unzählige Gemüter darüber, ob es den Deutschen gut geht oder nicht. Ja, es geht uns gut, heißt es dann, und wir jammern auf hohem Niveau. Stimmt nicht, widersprechen die anderen, zahlreiche Hinweise deuten darauf hin, dass es immer mehr Menschen immer schlechter geht. Und so geht es immer weiter, bis einem schwindlig wird. Doch eine wichtige Frage wird nur selten gestellt: Wie geht es eigentlich unseren Kindern? UNICEF wollte es genauer wissen.

Deutschland ist daran gewöhnt, bei allerlei Wettbewerben auf den vordersten Plätzen zu sein. Ob es um Sport geht, um Wirtschaft, um Politik – die Deutschen sind gefragt. Doch immer wieder ziehen Wolken am blauen Himmel über der Bundesrepublik auf. Diesmal ist es die UNICEF, die Besorgnis erregende Erkenntnisse mitzuteilen hatte. 29 Industrienationen wurden hinsichtlich der Frage, wie glücklich (oder unglücklich) ihre Kinder sind, miteinander verglichen. Deutschland belegt den Platz 22 und befindet sich damit abgeschlagen auf ungewohnten hinteren Rängen. Jeder siebte Jugendliche gab an, eher unglücklich zu sein. Im Jahr 2007 sah das noch ganz anders aus. Mit Platz 12 stand Deutschland zwar nicht gerade „auf einem Treppchen“, aber doch wenigstens in einem annehmbaren guten Mittelfeldplatz. Was ist seitdem passiert?

 

Es geht uns gut. Oder eben doch nicht

Eigentlich müsste alles in Ordnung sein. Zumindest, wenn man den Statistiken glauben will. Und auf den ersten Blick scheint auch alles in Ordnung zu sein. In den Bereichen Bildung, Sicherheit, Gesundheit, Verhalten und Risiken, Umwelt und Wohnen sowie dem materiellen Wohlbefinden ist Deutschlands Nachwuchs vom achten Rang im Jahr 2010 auf den sechsten Platz geklettert. Diese Realität steht jedoch einer anderen, nämlich der gefühlten oder empfundenen Realität, der Kinder und Jugendlichen gegenüber. Die Kinder in Deutschland empfinden den vermeintlichen Luxus, der durch materielle Vorteile erlangt wird, nicht als Segen. Sie nehmen vielmehr den allgemeinen Druck wahr und leiden darunter.

 

Leistung, Leistung, Leistung!

Den materiellen Vorteilen stehen Anforderungen gegenüber, unter denen Kinder leiden. Hans Bertram, Mitglied des Deutschen UNICEF-Komitees und Professor an der Berliner Humboldt-Universität, sagt dazu: „Die deutschen Mädchen und Jungen stellen damit sich und ihrer Umgebung ein erschreckendes Zeugnis aus, das uns nachdenklich machen muss.“ Bertram sieht das Problem darin, dass es in Deutschland zu sehr darum geht, die bestmögliche Leistung zu erbringen, und das schon möglichst früh im Leben. Diese hohen Anforderungen führen dazu, dass Kinder und Jugendliche sich häufiger als früher ausgeschlossen fühlen. Bertram sagte dazu: „Unsere an Ressourcen reiche Gesellschaft versagt offensichtlich dabei, allen Mädchen und Jungen Hoffnung und Perspektiven auf gerechte Teilhabe zu geben.“

 

Ein offenes Ohr statt iPhone

Der Vorsitzende von UNICEF Deutschland, Dr. Jürgen Heraeus, sieht die Gründe für die Unzufriedenheit und Ohnmacht von Kindern nicht in materiellen Dingen - davon haben die Kinder vielfach genug, vielleicht sogar zu viel. Heraeus befürchtet, dass die Kinder zu wenig Gehör finden für ihre Sorgen, Ängste und Nöte. Er sagt: „Wir müssen Kindern und Heranwachsenden besser zuhören und ihnen mehr Möglichkeiten zur Mitgestaltung eröffnen.“ Das scheint in der Tat in der alltäglichen Hektik, den hohen Anforderungen und der Angst vor der Zukunft unterzugehen. Und wahrhaftig scheinen Jugendliche zwar auf der einen Seite kaum noch Interesse an politischen Themen zu haben. Allein der Versuch, Stefan Raab mit der Moderation vom Kanzlerkandidaten-Duell zu betrauen, um dem Nachwuchs mehr Interesse an Politik angedeihen zu lassen, spricht Bände. Offenbar interessiert Politik die deutschen Jugendlichen nicht mehr. Andererseits sind die Zukunftsängste eklatant und nachvollziehbar. Wer mit Blick auf die Zukunft im wesentlichen Angst verspürt, wird sich kaum glücklich fühlen, auch wenn das Zimmer mit Hightech-Produkten ausgestattet ist.

 

Vermeintlich positiver Leistungsdruck

Alles in allem scheint Deutschland ein guter Ort für Kinder zu sein. Zumindest kann man zu diesem Schluss kommen, wenn man bedenkt, dass deutsche Schüler bei den gefürchteten Pisa-Tests heute besser abschneiden als früher. Zudem rauchen weniger Jugendliche, auch der Cannabis- oder Alkoholkonsum ist zurückgegangen. Teenager-Schwangerschaften sind ebenfalls rückläufig, die Jugendarbeitslosigkeit ist im internationalen Vergleich in Deutschland gering. Ähnliches gilt für die relative Armut.

Nun könnte man fragen, warum es deutschen Kindern dennoch „gefühlt“ nicht gut geht. Die Antwort ist zum Teil bereits weiter oben gegeben, doch ein weiterer Aspekt verdient dennoch Beachtung. Wenn man beispielsweise die europaweite Jugendarbeitslosigkeit ins Verhältnis mit der in Deutschland setzt, kann es kaum verwundern, dass die Deutschen dabei recht gut dastehen. Quoten von 20 bis über 30 Prozent in den Krisenstaaten relativieren die Arbeitslosigkeit hierzulande natürlich. Nicht anders verhält es sich mit der relativen Armut. Auch hier geht es vielen europäischen Nachbarn deutlich schlechter, was Deutschland in ein besseres Licht rückt. Und selbst wenn eine große Zahl der Jugendlichen in Deutschland diesen Zusammenhang nicht sehen kann (was im Übrigen erst einmal zu beweisen wäre), so ist doch eines sicher: Die Probleme unserer Nachbarn nehmen die Jugendlichen durchaus wahr. Die Globalisierung mit allen Vorteilen, aber eben auch sämtlichen Nachteilen, kommt bei den Jugendlichen an. Sie machen sich Gedanken über die eigene Zukunft, über ihren Beruf, die Aussichten insgesamt. Kaum ein Erwachsener kann bei dem, was wir europa- und weltweit erleben, gelassen oder gar grenzenlos optimistisch bleiben. Warum sollten Kinder oder Jugendliche das können? Wir müssen reden. Miteinander. Mit unseren Kindern. Um Mut in die Köpfe zu bekommen. Allein schafft das niemand.