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Wie ehrlich sollten Eltern ihren Kindern über ihre Gefühle erzählen?

Kinder brauchen ihre Eltern, um zu lernen, wie man Gefühle richtig einschätzt. Aber was macht man, wenn die Kleinen einen komplett durchschauen, obwohl man seine Emotionen gerne für sich behalten würde?

Als Elternteil gibt man sich ja Mühe, die Kinder zu sozialkompetenten, verständigen Wesen zu erziehen und ist stolz, wenn es gelingt. Bei meiner Tochter geht mir das jedoch in mancherlei Hinsicht zu weit. So ist es mir beispielsweise unmöglich, ihr meinen Gefühlszustand zu verheimlichen. Besonders negative Gefühle wittert sie meilenweit gegen jeden Wind, den ich mache: Lächeln, freundlich gucken, ablenken, sich sofort zurückziehen – es hilft alles nichts. Sie legt den Kopf schräg, schaut mich prüfend an und fragt: „Papa, was ist los mit dir?“


Sorgen hat man als Erwachsener in der Regel genug

Schluck! Ja was ist eigentlich los? Ich stehe gerade neben mir, weil man in London gerade auf offener Straße einen Mann in Stücke gehackt hat. Die Arbeit lief heute nicht so toll. Ich muss morgen zur Krebsvorsorge. Die Rechnung für die anstehende Autoreparatur obszön zu nennen wäre noch untertrieben. Ich habe einfach einen richtig miesen Tag. Es gibt mehr als genug Gründe, sich vom Leben gelegentlich die Laune verderben zu lassen. Und es gibt diverse Möglichkeiten damit umzugehen: Frustfressen, Sport, rumschreien, einigeln, heulen etc. Allerdings verarbeitet man diese Dinge gewöhnlich für sich alleine oder mithilfe eines Freundes oder einer Freundin. Aber was macht man, wenn man die Kinder aus dem Hort abholen muss? Oder sonst irgendwas, wo man ihnen auf gar keinen Fall entkommen kann? In Elternratgebern ist oft davon zu lesen, wie wichtig es ist, Kindern auch seine negativen Gefühle zuzumuten und ihnen diese dann zu erklären. Bis zu einem gewissen Punkt kann ich dem folgen. Als Eltern sollte man versuchen, für seine Kinder mehr zu sein als verantwortliche Personen ohne Vornamen. Schließlich ist man ja auch derjenige, der sich irgendwann in ihre Mutter verliebt hat. Oder diejenige, die in der Schule eine Raufboldin war. Aber irgendwo ist auch mal Schluss. Manche Dinge will man einfach für sich behalten und mit sich ausmachen. Und vor allem will man nicht immer sofort über alles reden, sondern vielleicht erst einmal zur Ruhe kommen.


Kinder durchschauen ihre Eltern meist schnell

Aber statt sich darüber klar werden zu können, dass der Tag unter Umständen gar nicht so schlimm gewesen ist und man schon wesentlich fiesere Sachen durchgestanden hat, wollen die lieben Kleinen es ganz genau wissen und man fühlt sich in Erklärungszwängen gefangen: Sag mir gefälligst was los ist! So als hätten sie ein Recht darauf, unmittelbar und rückhaltlos den Gefühlskern der Eltern offenbart und erklärt zu bekommen, um sich selbst ein Bild von der Lage machen zu können. Denn sozialkompetente Kinder erfassen ihre Umwelt sehr genau und nehmen all die Verwerfungen war, die wir manchmal gerne von ihren kleinen Leben fernhalten möchten: Wutanfälle, Trennungen, Boshaftigkeit, Kränkungen. Wenn Papa oder Mama unsicher, betroffen oder traurig wirken, muss doch gerade etwas von dem zutreffen, was sie schon bei anderen beobachtet haben. Oder etwa nicht? Was sollte es denn sonst sein?

Tja, was sonst. Ich sehe ja ein, dass es wichtig, wenn nicht unumgänglich ist, seine inneren Gefühlswelten mitzuteilen. Kinder befinden sich nicht nur qua Geburt innerhalb der elterlichen Intimitätszone, in der sie von deren Emotionen unmittelbar betroffen sind, sondern bleiben darüber hinaus auch auf Erklärungen angewiesen, weil sie lernen müssen, die Gefühle der anderen wie auch die eigenen zu differenzieren (mein Sohn kannte z.B. lange Zeit nur eine Verbalisierung für negative Gefühle: „Das ist unfair!“). Auf der anderen Seite leben wir in einer Gesellschaft, die uns ständige emotionale Kontrolle abverlangt und in der daher für Kinder Welten zusammenbrechen können, wenn Eltern weinen. Wie war das bei Ihnen als Kind? Können Sie sich erinnern. Ihre Eltern je weinen gesehen zu haben und wenn ja, was hat das mit Ihnen gemacht?


Keine Gefühlsschwindeleien, lieber Aussageverweigerung

Ich jedenfalls habe beschlossen, aufs Gefühlsschwindeln zu verzichten. Hat bei meiner Tochter sowieso keinen Sinn. Also sage ich kurz, dass es mir schlecht geht, ich genervt oder traurig bin und dann verziehe ich mich – wenn es sein muss auch aufs Klo. Darüber hinaus genehmige ich mir ein elterliches Aussageverweigerungsrecht. Von KFZ-Versicherungen oder Steuerstreitigkeiten müssen meine Kinder (noch) nichts wissen. Darüber wie es mir geht schon. Interessanterweise interessieren sie die Hintergründe gar nicht mehr so sehr, wenn man gleich sagt, dass man mies drauf ist und, nachdem man sich eine brummelige halbe Stunde lang wieder abgeregt hat, wieder bessere Laune hat. Jedenfalls war es bisher so. Schauen wir mal, wie das noch so wird.

 


Nils Pickert, Jahrgang 1979, gebürtiger (Ost-)Berliner, lebt und arbeitet als freier Autor und Texter in Norddeutschland. Er ist passionierter Koch und Vater zweier Kinder.