Unbeschwerte Kindheit? Spiel, Spaß, Spannung? Von wegen! Schon 6-Jährige empfinden einen außergewöhnlich hohen Leistungsdruck. Das gilt nicht nur in der Schule, sondern bezieht sich auf die Anforderungen des Lebens insgesamt. Der Druck kommt aus allen möglichen Richtungen, oft jedoch auch aus dem Elternhaus selbst. Kinder beobachten sehr genau. Und stellen fest, wie es ihren Eltern geht. Das überträgt sich auf die Kinderseele.
Steigende Anforderungen: Jedes zweite Kind unter Leistungsdruck
Das Münchner Forschungsinstitut Iconkids & Youth hat insgesamt 700 Kinder befragt. Es ging um das Thema „glückliches Leben“. Die Antworten der Schulkinder zwischen sechs und 12 Jahren waren überraschend. Zumindest bei den Kleinsten der Befragten hätten man annehmen können, dass sich die Interessen vornehmlich um das Spielen, Toben oder Klettern beziehen. Doch es ergab sich ein vollständig anderes Bild, eines, das von einer Reife zeugt, die beinahe surreal wirkt, wenn man bedenkt, wie jung die befragten Interviewpartner waren.
Gesundheit und Eltern
Beinahe altersweise klingt es, wenn 93 Prozent der Schulkinder zwischen sechs und 12 Jahren auf die Frage nach Glück antworten, sie wollen in erster Linie gesund bleiben. Ängste um die Gesundheit in diesen jungen Jahren sind durchaus als Signal für eine Ernsthaftigkeit zu deuten, die man eher bei älteren Menschen erwartet. Ebenfalls weit vorn auf der Wunschliste stand das Bedürfnis, dass die Eltern genügend Zeit für den Nachwuchs aufbringen können. Im Zeitalter wachsender beruflicher Anforderungen ein ziemlich naheliegender Wunsch, der häufig leider keine Realität ist.
Ein Freund, ein guter Freund …
Der Umgangston unter Kindern ist deutlich rauer geworden, das zeigt auch das Ergebnis der Studie. Verglichen mit einer Befragung aus dem Jahr 2006 hat es eine sehr klare Veränderung gegeben. Damals wünschten sich spürbar weniger Kinder als heute, dass „Kinder nicht so gemein zueinander sind“. Den daraus resultierenden Wunsch nach mehr Freundlichkeit unter Kindern äußerten drei von vier befragten Kindern. Gegenüber der letzten Befragung ist das ein Anstieg von erschreckenden 50 Prozent. Wenig überraschend in diesem Zusammenhang ist die Aussage, dass ein richtig guter Freund im Leben sehr wichtig ist und zum Gefühl des Glücks gehört. Immerhin neun von 10 Kinder sagten das aus. Mobbing, Konkurrenzdruck und Perspektivlosigkeit machen sich auch bei Kindern schon jetzt breit und erzeugen ein Klima, das oft alles andere als freundlich ist.
Die Welt in bunten Farben
Tristesse, Leistungsdruck und Hektik lassen Kinder schon einmal in Traumwelten versinken. Dort leben sie in großen Häusern, ihre Eltern fahren teure Autos, neun von 10 Kindern sehen einen großen Garten und Haustiere vor ihrem geistigen Auge. Gleichzeitig ist ihnen sehr bewusst, dass es ein harter und steiniger Weg ist, um diese Ziele zu erreichen. Spürbar wird das auch in der Schule. Viele Kinder beklagen, dass sie kaum noch Zeit finden. An dieser Stelle kommt dann auch endlich das, was man schon viel früher erwartet hätte. Zwei Drittel der befragten Kinder träumen davon, mehr Zeit zum Spielen zu haben.
Überbehütende Eltern und Kontrollverlust
Fast alle Kinder antworteten auf die Frage nach ihren Eltern nahezu einhellig damit, dass sie „besten Eltern“ haben, die sie sich vorstellen können. Doch der erste Eindruck trügt. Gleichzeitig wollen heute mehr Kinder so schnell wie möglich erwachsen werden. Ein Grund dafür sind anscheinend Eltern, die den Kindern kaum Freiraum lassen, um sich zu entwickeln und sich auszuprobieren. Es liegt nahe, dass zwei von drei Kindern sagen, sie würden sich wünschen, dass ihnen ihre Eltern mehr zutrauen.
Dem überbehütenden Verhalten von Eltern steht deren Kontrollverlust gegenüber. Rund die Hälfte der Kinder in Deutschland muss damit leben, von ihren Eltern geschlagen oder geohrfeigt zu werden. Fast noch schlimmer jedoch steht eine Erziehungsmethode im Raum, deren schlimme Wirkung eigentlich jedem längst bekannt sein sollte. Ein Viertel der Eltern straft den Nachwuchs im Konfliktfall durch Liebesentzug und Nicht-Beachtung.
Der Teufelskreis des Drucks
Leistungsdruck bei Kindern erzeugt inneren Druck in der Kinderseele. Die Art und Weise, wie mit diesem Druck umgegangen wird, ist ganz unterschiedlich, oft ist aber Aggression bei Kindern die Folge. So wird im Zuge der Überforderung und Hilflosigkeit versucht, den „Schwarzen Peter“ anderen zuzuschieben. Meist nicht den Eltern, sondern anderen Kindern oder Geschwistern. An dieser Stelle schließt sich häufig der Teufelskreis. Viele Eltern, die ihre Kinder körperlich züchtigen, argumentieren damit, dass der Nachwuchs sich zu aggressiv gegenüber Geschwistern verhalten hat. Ein fragwürdiges Argument, um selbst aggressiv zu reagieren. Für das Kind ist diese Logik selbstverständlich nicht nachvollziehbar. Es versucht, den Druck gewissermaßen „nach unten“ weiterzugeben.
Kinder müssen spielen!
Es klingt fast zu simpel. Und es ist ganz sicher kein Allheilmittel, um alle alltäglichen Probleme zu beseitigen. Aber verantwortungsvolle Eltern müssen ihren Kindern ausreichend Möglichkeiten zum Spielen geben. Dazu gehört der Aufenthalt im Freien, dazu gehört das Toben, das Klettern, dazu gehören auch gewisse Risiken, die Kinder eingehen dürfen. Es ist nicht so schlimm, wenn ein Kind einmal stürzt oder sich beim Klettern auf einen Baum oder ein Gerüst verschätzt. Diese Dinge sind wichtig, sie dienen dazu, Neues zu erlernen. Zudem wirkt es sich positiv auf das gesamte Gefühlsleben eines Menschen aus, wenn er sich ausreichend bewegt. Auf Kinder trifft das noch viel mehr zu, weil sie normalerweise naturgemäß einen gewissen Bewegungsdrang haben. Und schlussendlich darf man eines nicht vergessen, schon gar nicht, wenn man dazu neigt, überbehütend zu sein: Erfahrungen kann man nicht erklären und nicht vererben. Erfahrungen muss man machen.