Unsere Tochter, die Windeldiktatorin

Ein Baby tritt in das Leben eines Paares und übernimmt die Oberhoheit. Die Eltern tun alles, um die Bedürfnisse und Wünsche des neuen Familienmitglieds zu erfüllen. Ganz normal soweit, oder? Ein Vater wirft einen humorvollen Blick auf sein neues Leben als Untertan seiner kleinen Tochter Lilly, der absoluten Herrscherin über ihr Königreich und seine Bewohner.

Seit einem guten Jahr haben wir ein neues Familienmitglied, das unser Leben beherrscht: Lilly, die erste von und zu eigenen Gnaden. Als unangefochtene und absolute Herrscherin dominiert sie unser Denken und Handeln voll und ganz. Zu fast jeder Minute des Tages – ob sie bei uns ist oder nicht. Eine solche Macht hat sie über meine Frau und mich. Dabei ist Lilly noch nicht einmal den Windeln entwachsen.

Die Herrscherin regiert mit Zuckerbrot und Peitsche – Lächeln und Gebrüll

Lilly herrscht mit Zuckerbrot und Peitsche – sie belohnt durch ihr süßes Lächeln, sie droht durch  Gequengel und straft mit ihrem ohrenbetäubenden Geschrei, wenn ihr etwas nicht gefällt. Sie ist nicht immer eindeutig in ihren Anweisungen, neigt zu Gemütsschwankungen (oft aufgrund von Müdigkeit), legt eine gewisse Willkür an den Tag (etwa, wenn es um ihre Essenswünsche geht) und zeigt keinerlei Geduld, wenn ihren Wünschen nicht umgehend Folge geleistet wird.

Das Leben als Lillys Untertan hat sklavenartige Züge. Es gibt keine freien Tage, man hat in der Regel einen Bereitschaftsdienst rund um die Uhr. Untertan ist man auf Lebenszeit, ein Kündigungsrecht existiert nicht. Die Arbeit selbst ist vielfältig, anspruchsvoll und führt einen mitunter an seine persönlichen Grenzen. Von leichten Arbeiten als Gesellschafter/Hofnarr bis zum seelisch-moralischen Beistand in schweren Stunden (nervlich oft sehr anspruchsvoll) ist alles dabei. Es wird auch erwartet, dass man sich um das leibliche Wohl der Majestät kümmert, das Königreich reinlich hält und der Herrscherin bei der Körperpflege assistiert – vom Bad bis zum Toilettengang (hat man so etwas schon gehört?). Ganz nebenbei wird wie selbstverständlich erwartet, dass die Untertanen auch den Unterhalt der Diktatorin wie ihres Herrschaftsbereiches finanzieren.

Sklavenarbeit für das Wohlwollen der Windeldiktatorin

Und wofür? Für Gotteslohn – oder besser: für die Anerkennung, das Lächeln oder Lachen unserer Windeldiktatorin. Wenn es ihr gut geht, dann öffnet sich unser Herz und die ganze Mühsal ist auf einen Schlag wie weggeblasen. Das Ganze hat schon sektenähnliche Züge, wenn Sie mich fragen – man gibt seine Arbeit und sein Geld hin, um einem dominierenden Familienmitglied eine Freude zu machen. In ruhigen Minuten sehen meine Frau und ich uns an und fragen uns hin und wieder, unter dem Einfluss welcher Droge wir uns befinden…

Aber zum Glück gibt es diese Momente nicht häufig – auch, weil wir die Zeit, die wir nicht aktiv mit Herrscherin Lilly verbringen, in erster Linie für Arbeit und Schlaf nutzen. Man hat immer den Eindruck, als spüre sie es, wenn wir uns tagsüber hin und wieder eine kurze Auszeit nehmen. Dann meldet sie sich häufig, um zu zeigen, wer die Herrin im Königreich ist. Intimsphäre gibt es keine – selbst auf der Toilette hat man keine Ruhe vor ihr.

Es scheint, als wolle Lilly Alleinherrscherin bleiben

In der Vergangenheit haben sich meine Frau und ich uns verschwörerisch zusammengesetzt und heckten Pläne aus, ihren Herrschaftsbereich zumindest tageszeitlich einzuschränken. Diese waren nicht immer von Erfolg gekrönt – der Dienst an Lilly bleibt ein 24-Stunden-Job. Seit Lilly das Krabbeln und seit Kurzem auch das Laufen für sich entdeckt hat, konnte sie gar ihren Herrschaftsbereich räumlich erweitern, wie wir zugeben müssen.

So kommt es, dass meine Frau und ich nahezu keine Zeit für uns haben. Das finden wir beide sehr schade. Uns fehlt hier wirklich etwas. Für Lilly als absolute Herrscherin ist das kein Problem. Ihr Verhalten lässt auch nicht darauf schließen, dass sie ihren Herrschaftsbereich gerne mit einem Geschwisterchen teilen möchte …

 

Anmerkung: Dies ist eine Glosse („pointierter, oft satirischer Meinungsbeitrag“) – nur für den Fall, dass dies nicht alle begriffen haben. Meine Frau und ich lieben unsere Tochter sehr und finden, sie ist das tollste Kind, das wir uns vorstellen können. Aber wenn man als Elternteil einmal nüchtern überlegt, worauf man sich da eingelassen hat, dann muss man doch ab und zu denken, unter dem Einfluss welcher Droge man gerade steht, dass man das alles so toll findet. ODER? Was meint Ihr? Ist es bei Euch zu Hause ähnlich?