Küsschen für die Oma oder die stark parfümierte Tante, höflich sein um jeden Preis. Ist doch gar nicht schlimm, oder? Für Kinder fühlt sich das, was wir Erwachsenen so selbstverständlich einfordern, oft gar nicht angenehm an und es gibt gute Gründe, warum Sie Ihrem Kind hierbei sein Selbstbestimmungsrecht lassen sollten!
Küsschen geben muss nicht sein – Warum Ihr Kind selbst bestimmen muss, wer ihm nahe kommt
Klar haben wir alle die feuchten Küsse und die ungeliebten Kopftätschler überstanden. Kinder, die dazu genötigt werden, sich diese Berührungen und Intimitäten jederzeit gefallen zu lassen, verlernen jedoch möglicherweise eine wichtige Eigenschaft: Das Nein sagen. Wenn sich etwas unangenehm anfühlt, ist der erste – und gesunde – Impuls, dem auszuweichen. Darf ein Kind das nicht, verliert es die Fähigkeit, sich selbst zu spüren und das kann Folgen haben.
Nein sagen können sie doch alle!
Der Prozess des „Nein“-Sagens ist für Kinder ein wichtiger Entwicklungsschritt. Ein Nein grenzt ab, es zeigt, dass das Kind Unterschiede erkennt zwischen seiner eigenen Person und der Umwelt. Es hat einen eigenen Willen, erkennt diesen und versucht das Umfeld so zu beeinflussen, dass dieses Wollen auch umgesetzt wird. Durch sein Nein setzt es wichtige Grenzen.
Wenn es ums Zimmer aufräumen geht, um die Hausaufgaben oder darum, den Müll herunterzubringen, haben die wenigsten Kinder Probleme, Nein zu sagen und sich zu weigern. Da ist es auch leicht, denn es geht nur um Äußerliches, nichts, was die tieferen Gefühle berührt. Geht es um echte Emotionen, dann wird es schon schwieriger, denn groß ist die Gefahr, nicht mehr gemocht zu werden. Insbesondere Kinder, die ständig genötigt werden, sich emotionale Annäherungsversuche – wie zum Beispiel besagte Küsschen – gefallen zu lassen, verlernen außerdem, auf ihr inneres Gefühl zu hören bzw. haben erfahren, dass dieses ganz offensichtlich nicht relevant ist.
Wenn Kinder zu Ja-Sagern werden
Ja-Sager mag keiner gern, aber viele Menschen machen ihre Kinder – natürlich unbewusst und ungewollt – dazu. Je nach emotionaler Stabilität des Kindes passiert das ganz leicht: Das Kind wird immer mal wieder „gezwungen“, ein Küsschen oder die Hand zu geben. Weigert es sich vehement, wird es mit Schmollen, Missachtung oder Vorwürfen bestraft. „Stell dich nicht so an!“, „Hast Du mich denn gar nicht lieb?“ und ähnliche Bemerkungen sind ebenso fatal. Der Lerneffekt: Wenn ich auf meine eigenen Gefühle höre und etwas verweigere, werden mir Aufmerksamkeit und Zuwendung entzogen. Das hält kein Kind aus! Nach und nach unterdrückt es sein eigenes Gefühl, um nicht auf das zu verzichten, was ihm am wichtigsten ist, nämlich auf die Liebe von Eltern, Großeltern und anderen wichtigen Bezugspersonen. Schließlich spürt das Kind sich selbst nicht mehr und verliert die Fähigkeit, das eigene Unwohlsein wahrzunehmen und entsprechend darauf zu reagieren.
Was ich nicht will, passiert auch nicht
Diese Erfahrung sollte und muss ein Kind jederzeit machen dürfen, insbesondere, wenn es um körperliche Annäherungsversuche geht, seien Sie auch noch so gut und lieb gemeint! Unterstützen Sie Ihr Kind dabei, sich seiner eigenen Grenzen bewusst zu werden, leisten Sie einen aktiven und präventiven Beitrag zum Schutz Ihres Kindes vor sexuellen Übergriffen, insbesondere aus der näheren Bekanntschaft.
Die ausdrückliche Erlaubnis, Nein zu Körperlichkeiten zu sagen, gilt übrigens auch in Bezug auf die Eltern. Auch als Mutter oder Vater haben Sie nicht das Recht, Ihr Kind zu Körperkontakt, Umarmungen und Küssen zu „zwingen“.
Grenzen und Liebe
Eltern sollten sich allerdings vor einem übertrieben verkrampften Umgang mit diesem Thema hüten. Bei allem Respekt vor den Grenzen unserer Kinder sollten wir nicht den zärtlichen Umgang mit ihnen aufgeben. Auch wenn Ihr Kind gerade nicht zugänglich ist für Körperlichkeiten – bieten Sie emotionale und körperliche Nähe jederzeit an. Entscheidend ist einfach nur, dass Sie nicht beleidigt reagieren, wenn Ihr Kind diese Nähe im Augenblick nicht annehmen kann oder möchte.