Alles anders machen zu wollen, als es die eigenen Eltern getan haben, ist ein Wunsch, den viele Menschen hegen. Die Gründe dafür sind ebenso unterschiedlich wie die Persönlichkeiten dahinter. Da liegt die Frage nahe, wie sehr uns unsere Eltern letztlich beeinflussen, ohne dass wir etwas dagegen unternehmen könnten. Und die Frage, ob wirklich alles anders sein sollte, wenn man eigene Kinder hat.
Prägung durch die Eltern – wichtig, aber nicht unbedingt entscheidend
Wenn einem die eigene Nase nicht passt, kann man nichts dagegen machen (einen chirurgischen Eingriff lassen wir hier einmal unberücksichtigt). Das Gleiche gilt für die Form der Beine oder die Neigung zum Übergewicht. Auch Herzfehler können vererbt werden. Doch alles, was die Entwicklung der Persönlichkeit angeht, scheint steuerbar. Zunächst durch die Eltern, später durch das Kind, das sich weiter entwickelt. Immer wieder fällt auf, dass entgegen aller Versuche, alles anders zu machen als die Eltern, bestimmte Verhaltensmuster auftreten, die man eigentlich so eben nicht mehr haben wollte. Prägen uns unsere Eltern also mehr als wir uns eingestehen?
Sind wir alle wie die Familie Kennedy?
Als John F. Kennedy sich am Morgen des 22. November 1963 entschied, die kugelsichere Weste nicht anzuziehen, konnte er nicht wissen, dass sie ihn ohnehin nicht gerettet hätte. Er wurde später durch einen Kopfschuss getötet. Doch für viele selbsternannte Experten geht es nicht um den tödlichen Schuss, sondern um etwas ganz anderes, nämlich um das Schicksal der Familie Kennedy. Immerhin nur ca. vier Jahre später wurde auch Johns Bruder Opfer eines Anschlages. Und sieht man sich die Familie Kennedy einmal etwas näher an, findet man Tod durch Unfälle, Alkohol- und Drogenexzesse. Michael Kennedy starb im Jahr 1997 bei einem Ski-Unfall, John F. Kennedy Junior wurde im Jahr 1999 Opfer eines Flugzeugabsturzes. Wohlgemerkt: es war sein eigenes Flugzeug, das er selber flog.
Schicksal oder Persönlichkeit?
Ob es den Kennedys durch das Schicksal vorherbestimmt ist, häufiger als andere Menschen einem unnatürlichen Tod zu erliegen, sei dahingestellt, auch wenn es natürlich viele gibt, die daran glauben. Andere vermuten eher Persönlichkeitsstrukturen hinter dem ungewöhnlich häufigen Sterben innerhalb der Kennedys. Dabei geht es um eine außergewöhnliche Bereitschaft, sich hohen Risiken auszusetzen, gepaart mit dem unbändigen Gefühl, unbesiegbar zu sein. Was im Falle der Kennedys immer wieder folgte, war die Realität, verbunden mit der Tatsache, dass Unbesiegbarkeit Grenzen hat. Aber wenn wie im Falle der Kennedys übermäßige Risikobereitschaft über Generationen weiter geführt wird, wäre das ja dann gewissermaßen für alle Beteiligten auch eine Form des Schicksals. Die Eltern geben bestimmte Verhaltensmuster an die Kinder weiter, die dann wiederum gar nicht anders können, als diese fortzusetzen.
Beeinflussung ohne Vererbung
Die klugen Köpfe haben sich mit der Frage beschäftigt, inwieweit wir durch unsere Sozialisation geprägt werden. Horst-Eberhardt Richter tat es in seinem Werk „Eltern, Kind und Neurose“. Alice Miller 20 Jahre später in ihrem Buch „Das Drama des begabten Kindes“. Richter nahm an, dass Depressionen und Zwangsverhalten in der Kommunikation zwischen Kindern und Eltern verwurzelt sind. Miller glaubte, dass Mütter es nicht ertragen, wenn Kinder eifersüchtig sind. Die Folge: Kinder stellen sich auf diese Haltung der Mutter ein und passen sich an, sodass ein „falsches Selbst“ entsteht. Das klingt, also gäbe er kaum ein Entrinnen, als wäre es uns durch unsere Eltern vorherbestimmt oder aber zumindest anerzogen, wie wir uns entwickeln. Neuere Forschungen räumen zwar ein, dass Eltern ihre Kinder prägen. Doch darüber hinaus wird den Kindern eine Menge Fähigkeit zur eigenen Entwicklung zugestanden.
Aktive Entwicklung von Geburt an
Der Berliner Persönlichkeitsforscher Jens Asendorpf sieht Entwicklungspsychologie folgendermaßen:
"Von der Zeugung an spielt der Mensch eine aktive Rolle für seine Entwicklung."
Er widerspricht beispielsweise der These, dass autoritäre Erziehung autoritäre Erziehung zur Folge haben muss. Vielmehr greifen viele unterschiedliche Faktoren, wenn ein Mensch sich so entwickelt, wie es seine Eltern vorgelebt haben. Asendorpf nennt zahlreiche Umwelteinflüsse als Grund dafür, wie ein Mensch sich entwickelt. Die Eltern sind also nur einer dieser Einflüsse. Und manchmal wird dabei sogar eine Generation übersprungen.
30.000 Gene und das Kind
Nüchtern betrachtet verschmelzen bei der Zeugung eines Kindes die Keimzellen der Eltern miteinander. Dabei spielen rund 30.000 Gene eine Rolle, die einen mehr, die anderen weniger. Genauer hingeschaut bedeutet das aber nicht, dass alles „fair“ aufgeteilt wird. Es kann sogar sein, dass Persönlichkeitszüge der Großeltern auf das Neugeborene übertragen werden. Für die Erziehung und die Entwicklung des Kindes kann das bedeuten, dass sich Eigenschaften zeigen, die nicht vorrangig von den Eltern stammen, sondern den genetischen Informationen der Großeltern zugrunde liegen. Es wäre also einerseits zu einfach, würde man annehmen, dass die Eltern Kinder immer und grundsätzlich maßgeblich genetisch prägen. Gleichzeitig spielen sie aber eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung der Persönlichkeit, wenn auch keine, die unmöglich zu beeinflussen wäre.
Und was bedeutet das nun?
Denkt man das Beschriebene bis zum Ende, kommt man unweigerlich zum Schluss, dass jeder Mensch durchaus die Möglichkeit hat, eine individuelle Entwicklung einzuschlagen und Dinge anders zu machen, als die Eltern das taten. Trotzdem prägen die Eltern durch unterschiedliche Faktoren immer die Entwicklung eines Kindes mit. Später kann man sich davon befreien, wenn die Rahmenbedingungen dafür gegeben sind. In anderen Bereichen kann es schwer bis unmöglich werden, einen neuen Weg einzuschlagen. Allerdings lässt sich auch feststellen, dass es gar nicht immer nötig ist, alles anders zu machen. Es gibt schließlich auch prägende Eigenschaften, für die wir unseren Eltern dankbar sind.