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Umgekehrte Pädagogik – wenn das Kind bestimmt – und wie man dem begegnet

Normalerweise erziehen Eltern ihre Kinder. So sollte es zumindest sein. Trotzdem entwickeln Kinder natürlich Strategien, um ihren Willen eben doch durchzusetzen. Vielfach ist es das Mittel des Charmes, das eingesetzt wird, um die Eltern milde zu stimmen und Wünsche erfüllt zu bekommen. Das ist oft süß, irgendwie rührend und führt mal zum Erfolg, mal aber auch nicht. Immer wieder kommt es jedoch auch zu einer unangenehmen Form der umgekehrten Pädagogik. Das Wort „Psycho-Terror“ mag hart klingen, für betroffene Eltern beschreibt es die Problematik jedoch oft am besten.

Man könnte es sich einfach machen und sagen, dass Kinder das Ergebnis unserer Erziehung sind. Wenn es soweit kommt, dass wir es mit kleinen „Monstern“ zu tun haben, dann ist der Grund bei den Eltern, nicht bei den Kindern zu suchen. Die Argumentation klingt schlüssig, doch hilft sie nur wenig, wenn es erst einmal so weit gekommen ist, dass Eltern ratlos, traurig und wütend vor der Situation stehen. Die Belastung ist enorm, der Weg aus der Krise schwer.

 

Das Kind auf dem Rad

Familienausflüge sind eine schöne Sache. Eine Radtour mit dem Kind ist gesund, bringt Bewegung und macht Spaß. Meistens jedenfalls. Doch aus dem Unternehmen kann auch eine Tortur werden, wenn der Nachwuchs plötzlich keinen Gefallen mehr daran findet und das in drastischer Form zum Ausdruck bringt.

Die Szenerie: ein Café in der Stadt. Draußen stehen Stühle und Tische, die Gäste genießen das schöne Wetter, trinken Cappuccino oder Espresso, lesen Zeitung oder unterhalten sich. Auf dem Radweg nähert sich eine Familie, Vater, Mutter, Tochter (es könnte auch ein Sohn sein). Aus der Ferne nichts Besonderes für Außenstehende. Bis die Drei näherkommen. Das Mädchen hat einen verzerrten Gesichtsausdruck und wirkt nicht, als ob es viel Spaß am Radfahren hätte. Kurze Zeit später beginnt der Showdown. Das Mädchen schreit voller Inbrunst: „Ich hab keine Lust mehr, ich bin müde und will nicht mehr Rad fahren!“

Trotz der Unmutsbekundungen des Kindes tritt es weiter stark in die Pedale und wirkt alles andere als entkräftet oder müde. Einen gänzlich anderen Eindruck macht der Vater, der vor Mutter und Tochter fährt. Es scheint, als würde er gleich in die Luft gehen, doch er ist bemüht, sich zu kontrollieren. Als seine Tochter schreit „Wann sind wir denn endlich da?“, reißt der Geduldsfaden des Vaters, direkt vor dem Café. Er bremst, steigt von Rad und zischt leise, aber bestimmt, dem Mädchen zu: „Ich kann Dich sehr gut hören, Jasmin. Genau wie alle anderen hier auf der Straße. Der Spielplatz ist nicht mehr weit, aber wenn Du so müde bist, sollten wir vielleicht besser nachhause fahren. Da kannst Du dann sofort ins Bett gehen.“

Die Wirkung der Ankündigung des Vaters lässt nicht lange auf sich warten. Kurze Zeit später kracht das Kinderfahrrad auf die Straße, hingeworfen mit einem wütenden „So!“ der Tochter, die überhaupt nicht beeindruckt ist von den Worten des Vaters. Doch der Vater ist ebenfalls unbeeindruckt und sagt zu Jasmin: „Ich gehe jetzt nachhause. Wenn Du Dich beruhigt hast, kannst Du ja nachkommen.“

Die milde Mutter

Jasmin ist erschüttert. Sie brüllt lauter denn je, dass sie nicht alleine gelassen werden will und klammert sich an die bis dahin schweigende Mutter. Der Vater hat schon drei Schritte gemacht, als die Mutter sich zu ihrer Tochter beugt und flüstert: „Dann musst Du jetzt aber auch wieder lieb sein, ja?“

Damit war das Thema erledigt. Aber nicht das Problem. Letztlich gab es für das Mädchen zwei wesentliche Signale, die aus dem Streit hervorgingen:

  • Vater und Mutter waren sich nicht einig, wie sie mit der Situation umgehen sollten.
  • Aus den vom Vater angekündigten Konsequenzen wurde nichts.

Man kann geteilter Meinung darüber sein, welche Konsequenzen bei übertriebenem Verhalten von Kindern angemessen sind. In einem Punkt sollte jedoch Klarheit bestehen: Wenn sie angekündigt werden, müssen sie auch durchgesetzt werden. Jasmin erfuhr im wesentlichen, dass ihre Eltern unterschiedlich auf ihr Verhalten reagieren. Und sie bemerkte, dass es im Grunde nahezu folgenlos blieb. Auch die Tatsache, dass sie ihr Fahrrad einfach auf den Weg warf, blieb ohne auch nur eine Ermahnung.

Zu peinlich?

Wohl jeder hat schon einmal das schreiende Kind erlebt, das im Supermarkt mit den Händen auf den Boden trommelt, weil es die Schokolade oder das Spielzeug nicht bekommt. Und jeder hat innerlich tief durchgeatmet, wenn es nicht das eigene war. Natürlich ist das für die Eltern unangenehm, zumal zuweilen auch noch Reaktionen von Außenstehenden hinzukommen, die meinen, durch Kommentare wie „Was machen Sie denn mit Ihrem Kind?“ oder „Jetzt tun Sie doch irgendwas!“ mehr oder weniger kluge Weisheiten von sich geben zu müssen.

Aber es ist in den allermeisten Fällen letztlich doch nur eine Phase des Kindes. Kinder probieren sich aus, sie testen, mit welchen Mitteln sie am effektivsten die Verwirklichung ihrer Wünsche erreichen können. Das ist auch nicht bösartig, es ist Teil der Entwicklung. Es kann jedoch bösartig werden, wenn wir als Eltern diesem Verhalten nicht entgegenwirken. Wie bereits gesagt sind Kinder das Ergebnis unserer Erziehung. Die muss auch Grenzen setzen. Geschieht das nicht, kann es schwierig werden. Und laut, sehr laut.