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Erste Liebe: oft ersetzt Gewalt die Romantik

Jugendliche erfahren in ihren ersten Liebesbeziehungen viel häufiger Gewalt als gemeinhin angenommen wird. Eine hessische Studie kam zu erschreckenden Ergebnissen, die Handlungsbedarf nahelegen.

Da sitzen sie. In einem Eis-Café bei strahlendem Sonnenschein. Händchen haltend teilen sie sich ein Eis und sehen sich schmachtend an. Sie mögen 14 oder 15 Jahre alt sein, und wenn man sie so ansieht, ist man fast geneigt, sich in die Zeit zurück versetzen zu wollen, als man selbst seine erste große Liebe kennengelernt hat. Da ist ganz viel Zärtlichkeit, das Gefühl, einander alles sagen zu können, der Eindruck, dass sich zwei Seelenverwandte gefunden haben. Und dann …

… steht der Junge auf und schlägt dem Mädchen kräftig mit der flachen Hand ins Gesicht!

 

Die Belastungen der Liebe

Die eben beschriebene Szene hat so nicht stattgefunden. Aber sie ist realistischer als man denken mag. Das zeigen die Ergebnisse einer Studie, die die Hochschule Fulda im Zuge eines Forschungsprojektes durchgeführt hat. Befragt wurden 509 Jugendliche, verteilt auf zehn Schulen. 66 Prozent der Mädchen und 60 Prozent der Jungen gaben an, bereits psychische oder körperliche Gewalt innerhalb ihrer Beziehungen erfahren zu haben. Etwas mehr als 500 Jugendliche, können die Ergebnisse so weniger Befragten aber tatsächlich verallgemeinert werden? Die Macher der Untersuchung sagen, dass es so sei. Doch um welche Gewalttaten handelt es sich in erster Linie?

 

Was ist Gewalt?

Nun steht, wenn man die Studie bewerten will, die Frage im Raum, was genau unter Gewalt zu verstehen ist. Sie ist facettenreich, so viel lässt sich feststellen. Und sie ist relativ einfach zu definieren, denn jede Handlung, die einem Menschen körperliche oder psychische Angst bereitet, ist eine Form von Gewalt. Daher beginnt sie schon beim übermäßigen Kontrollieren des Partners oder der puren Androhung von Taten, selbst wenn diese nicht umgesetzt werden. Verbale Aggressionen, Zwang oder Bedrohung sind also ganz klar als Gewalttaten einzuordnen.

 

Psychischer und physischer Druck

Zwar steht nicht die körperliche Gewalt innerhalb von Liebesbeziehungen von Jugendlichen im Vordergrund. Grund zur Entwarnung besteht jedoch deshalb keineswegs. Jeder zehnte befragte Jugendliche gab an, bereits körperliche Gewalt in der Beziehung erlebt zu haben. Bei sexualisierter Gewalt gaben 26 Prozent der Mädchen (also etwa jede vierte Befragte) und 13 Prozent der Jungen zu erkennen, diese bereits erlebt zu haben. Doch woher kommt diese Bankrotterklärung der jugendlichen Romantik? Warum üben Jugendliche so viel Druck auf ihre Partner aus und was kann man dagegen unternehmen?

 

Vorbild Eltern

Es ist kaum überraschend, zu welchem naheliegende Schluss die Studie der Hochschule Fulda kam. Dass nämlich Jugendliche, die in ihrer Familie bereits Erfahrungen mit Gewalt machen mussten, eher bereit sind, diese selbst auszuüben. Es ist klar, dass die Eltern Vorbilder sind, und auch – und ganz besonders! - schlechte Vorbilder nehmen direkten Einfluss auf ihren Nachwuchs. Allerdings zeigt eine andere Befragung, die sich an Erwachsene richtete, dass es offenbar ein grundsätzliches Problem im Beziehungsdenken gibt.

 

Partner fürs Leben?

Die erste große Liebe ist nur in den wenigsten Fälle die für das ganze Leben. Das ist in den meisten Fällen sicher auch ganz gut so, junge Menschen müssen schließlich zunächst einmal Erfahrungen sammeln, sich ausprobieren und lernen, wie man sich in einer Beziehung verhält. Von der Tatsache, dass die oben erwähnte Seelenverwandtschaft auch Kompromisse bedeutet, Alltag, Streit, Frust oder Routine wissen Jugendliche (noch) nichts, das kommt im Laufe der Zeit. Dennoch werden in den ersten Beziehungen die Weichen gestellt, und wer irgendwann seinen Traumpartner trifft, erkennt das dann auch. Es sei denn, man kommt zum Schluss, dass es ihn gar nicht gibt. Das zumindest glauben viele Erwachsene.

 

Jede siebte Beziehung voller Zweifel

Sicherlich ist es nicht der einzig wahre Grund, der alles erklärt und dafür verantwortlich ist, dass zahlreiche Jugendliche in ihrer Beziehung bereits Gewalterfahrungen machen mussten. Aber es ist dennoch bezeichnend, dass jeder siebte Erwachsene sich nicht sicher ist, ob der Partner, mit dem er zusammen ist, tatsächlich der richtige ist. Das ergab eine Umfrage des Marktforschungsinstituts „Fittkauf & Maas“ im Auftrag von ElitePartner, also ausgerechnet einer Singlebörse. Die Unsicherheit sinkt jedoch im Laufe der Zeit, Paare, die länger zusammen sind, glauben eher daran, dass sie den richtigen Partner gefunden haben. Doch davon sind Jugendliche naturgemäß weit entfernt.

 

Eine Frage des gegenseitigen Respekts

Letztlich ist es schwierig, die Gründe für die Gewalt in jugendlichen Beziehungen präzise zu ergründen. Allerdings lässt sich zumindest folgern, dass der allgemeine Umgang miteinander eine Rolle spielt. Der Umgangston insgesamt ist unter Menschen rauer geworden, der Druck ist gestiegen, Konkurrenz und wirtschaftliche Not schaffen ein aggressives Klima. Wenn Kinder und Jugendliche im Elternhaus oder in den Medien täglich aufs Neue erleben, wie Gewalt mehr oder weniger selbstverständlich in das gesellschaftliche Leben integriert wird, verwundert es kaum, dass auch sie empfänglich dafür werden. Hinzu kommen wohl auch Mobbing in der Schule, die wachsende Gewaltbereitschaft auf dem Schulhof und im Alltag. Es ist beklemmend und sehr traurig, dass innerhalb von jugendlichen Beziehungen, die eigentlich gegenseitige Hilfe, Zuneigung und Zärtlichkeit bedeuten sollten, eine Tendenz zu erkennen ist, die so destruktiv ist. Schließlich wird in diesen ersten Beziehungen auch eine Basis für weitere Partnerschaften und die Erwartungen an diese gelegt.      

Die Antwort kann – so simpel das auch klingen mag – wohl nur Liebe sein.