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Sind prügelnde Mädchen auf dem Vormarsch?

Jungen prügeln sich. Mädchen spielen mit Puppen. Dieses konservative Bild der verschiedenen Rollen mag zwar überspitzt sein, doch im wesentlichen trifft es zu. Allerdings nimmt Gewalt, die von Mädchen ausgeht, immer weiter zu. Woran liegt das?

Das Phänomen ist in ganz Europa zu beobachten. Die Statistiken der Polizei müssen neu bewertet werden. Denn während Diebstähle, Überfälle, Schikanen und das Schlagen und Treten anderer Menschen vor einigen Jahren noch vornehmlich ein Jungen-Problem war, hat sich eine neue Entwicklung abgezeichnet, die längst nicht mehr nur als regionale Ausnahmen bezeichnet werden kann. Gewalt durch Mädchen oder Mädchen in Jugend-Gangs hat zugenommen. Die Gründe dafür sind durchaus mit denen der Jungen zu vergleichen.


Das Problem der psychischen Gewalt von Mädchen

Männer (und somit auch Jungen) gelten gemeinhin als kämpferisch, stark und risikobereit. Wenn es zu körperlicher Gewalt kommt, sind laut Statistiken seit jeher Männer weit vor Frauen. Wie schon erwähnt, ändert sich dieses Bild seit einigen Jahren. Doch auch wenn Mädchen bzw. Frauen nicht körperlich gewalttätig werden, so kommt es oft zu einem anderen Phänomen, das nicht weniger problematisch ist. Mädchen sind besser als Jungen in der Lage, psychische Gewalt auszuüben. Statt die Fäuste zu gebrauchen, wird häufig der Kopf eingesetzt, was die Auswirkungen der Gewalt jedoch nicht harmloser macht. Das Stichwort in diesem Zusammenhang heißt neudeutsch „Mobbing“, und wie gefährlich es ist, dürfte durch umfassende Medienberichte inzwischen bekannt sein. Auch Jungen mobben, Mädchen haben aber „feinere“ Techniken. Die Folgen sind gravierend und verheerend, nicht selten leiden die Opfer psychischer Gewalt viele Jahre lang, im schlimmsten Fall für immer.


Jung, weiblich, gewaltbereit

Allein im Zeitraum von 1997 bis 2007 hat sich die Zahl der Gewaltdelikte durch Mädchen verdreifacht, das belegen Statistiken. Neben psychischer Gewalt nimmt also auch die physische Gewalt spürbar zu. Besonders oft sind es junge Mädchen zwischen 12 und 16 Jahren, die durch gewalttätige Delikte auffallen. Auffällig ist der hohe Anteil der sogenannten „schweren Körperverletzung“. Das klingt beinahe, als würden die Mädchen die Jungen regelrecht verdrängen, aber man muss wissen, dass schwere Körperverletzung per Definition immer dann vorliegt, wenn die Gewalt von einer Gruppe ausgeht. Und Mädchen prügeln selten in Eigenregie, vielmehr suchen sie den Schutz der Gruppe. Die Annahme, dass Mädchen-Gangs inzwischen zu einem flächendeckenden Problem geworden sind, lässt sich statistisch aber nicht belegen. Vielmehr finden sich auch in Gangs von Jungen immer häufiger Mädchen, die sich durch Gewaltbereitschaft ein gewisses Ansehen verschafft haben.


Wo liegen die Gründe?

Woher kommt die Gewalt? Diese Frage beschäftigt Pädagogen, Wissenschaftler und Soziologen immerzu. Die Antworten drehen sich um unterschiedliche Themenfelder. Zum einen ist die Familie der Schlüssel. Findet dort Gewalt statt, wird untereinander wenig kommuniziert, sind die Kinder oft alleine, vor dem Fernseher oder dem Computer, steigt die Gefahr, dass Kinder gewalttätig reagieren. Doch ein Selbstgänger ist dieser Kreislauf nicht, schließlich werden nicht alle Kinder (weder Jungen noch Mädchen) gewalttätig, wenn die vermeintlichen Rahmenbedingungen vorliegen.

Es gibt auch Gründe, die mit der Familie nichts oder nur sehr wenig zu tun haben und für Gewalt bei Mädchen verantwortlich sind. Nicht selten geht es bei Mädchen um den Status in der Gruppe, in der Schule, im Freundeskreis. Gewalt wird häufig als probates Mittel zum Lösen von Konflikten gesehen. Im Hintergrund stehen Begriffe wie Gerechtigkeit oder Respekt.

Ein nicht zu unterschätzender Grund für Gewalt von Mädchen ist ausgerechnet emanzipatorischer Natur. Viele Mädchen haben es satt, als das „schwache Geschlecht“ gesehen zu werden. Besonders wenn die Gewalt im Rahmen von Jugend-Gangs ausgeübt wird, ist das Gefühl, gleichberechtigt mit den Jungs der Gang zu sein, stark ausgeprägt.


„Kill Bill“ zum Mitmachen?

Immer, wenn es um die Ergründung von Gewalt geht, stehen früher oder später Filme und Computerspiele auf der Themenliste. Ob bei schlagenden Jugendlichen, bei Messerattacken oder bei Amokläufen, immer steht die Frage im Raum: Hat der Jugendliche zu viel ferngesehen? Zu viele brutale Videospiele gespielt? Hat er sich in eine virtuelle Welt begeben und das Gespür für die Wirklichkeit verloren?

In der Tat kann man diese Fragen stellen, und bei Mädchen kommt ein sehr spezieller Faktor mit hinzu, der für Jungs schon lange gilt. Gemeint sind die Helden (oder besser: Heldinnen), mit denen Mädchen aufwachsen. Könnte es vielleicht sein, dass die Computerspiel-Figur Lara Croft die Gewaltbereitschaft bei Mädchen erhöht hat? Hat Uma Thurman im Film „Kill Bill I und II“ Mädchen animiert, sich gegen das „starke Geschlecht“ mit Mitteln durchzusetzen, die ganz sicher nicht auf das zwischenmenschliche Gespräch abzielen?


Es geht vorüber

Die Antwort auf die Frage, woher Gewalt bei Mädchen kommt, ist sicherlich ein Mix aus den geschilderten Aspekten, die alle Berücksichtigung in der Bewertung finden sollten. Fakt ist aber auch, dass gewalttätige Mädchen sich in aller Regel nur in einer Phase ihrer Entwicklung befinden. Die meisten bleiben nicht gewaltbereit, sondern verändern die Strategie ihrer Konfliktlösungen später wieder. Bei Mädchen gilt die Regel, dass sie – wenn sie denn Gewalt ausgeübt haben – spätestens mit der Volljährigkeit mit dieser Praxis abgeschlossen haben. Bei Jungen dauert dieser Prozess im Schnitt drei Jahre länger. Der Anteil der Jungen und Mädchen, die auch bis ins Erwachsenenalter gewalttätig bleiben, ist recht gering. Grund zur Entwarnung ist dieser Umstand jedoch nicht.