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Der Sinn heißt Karl - Wie mein Vater-sein mich verändert hat

Mein Name ist Jakob, und ich bin 28 Jahre alt. Zumindest steht das so in meinem Ausweis. Mein neues Leben dagegen hat erst vor knapp zwei Jahren begonnen: am 25. November 2008, um 13 Uhr 46. Damals kam mein Sohn Karl auf die Welt, nach über neun Stunden in der Klinik. Und hat mein Leben auf den Kopf gestellt.

Nach der Geburt kamen meine Frau, ich und der kleine Karl in einen Ruheraum. Der Kleine wog dreieinhalb Kilogramm, lag auf meinem Bauch und schlief. Er war genauso erschöpft wie wir, konnte sich kaum rühren und noch nicht einmal die Augen öffnen. Und doch hat er in diesen Stunden einen neuen Menschen aus mir gemacht.

 

Einen glücklicheren Menschen.

Der alte Jakob, der von vor Karls Geburt, ging alle zwei Tage Laufen oder Schwimmen, oder noch häufiger. Abends ging er regelmäßig aus, traf sich am Wochenende mit seinen Freunden und plante mit Vorliebe die nächste Fernreise, und er konnte sich nichts Schöneres vorstellen.
Heute kann ich mir nichts Schöneres vorstellen, als ein Wochenende mit meinem Sohn im Park zu verbringen, ihn an der Hand zu nehmen und durch eine Wiese zu stapfen, mit ihm nach Stöckchen zu suchen und mit diesen dann gemeinsam in Pfützen herum zu patschen. Und niemand könnte glücklicher sein als ich, wenn ich mit Karl beim Frühstück sitze und er mir erzählt, dass er seinen Joghurt lecker findet – seinen „Joguck“.

 

Ein Kind ändert alles - und das ist okay so

Ein Kind ändert alles, das ist sogar statistisch belegt. Junge Väter halten sich erheblich seltener in Kneipen auf, sie treffen ihre Freunde nicht mehr so häufig und haben seltener Sex, bei trotzdem weniger Schlaf – das hat kürzlich das Meinungsforschungsinstitut Forsa herausgefunden. Das ist bei uns nicht anders. Ich und meine Frau haben es im vergangenen Jahr ganze zwei Mal ins Kino geschafft. Einmal an ihrem Geburtstag, mit Babysitter, und einmal, als wir bei meinen Schwiegereltern zu Besuch waren. Eine Kneipe haben wir im gleichen Zeitraum immerhin drei Mal betreten. Sport treiben ist vielleicht noch einmal pro Woche drin. Und die letzte Reise haben wir unternommen, als meine Frau noch mit Karl schwanger war. Alles, was früher meine Freizeit ausgefüllt hat, ist mit Karls Geburt weggefallen.

Trotzdem hat mir mein Leben noch nie so viel Spaß bereitet wie heute. Ich war noch nie so ausgeglichen und noch nie so zufrieden. Ich will nicht behaupten, dass ich nichts an meinem alten Leben vermissen würde. Spontan ausgehen, feiern, aus einer Laune heraus Ausflüge unternehmen, darauf habe – oder besser hätte – ich immer noch häufig große Lust. Und natürlich ist das Leben mit Kind anstrengend. Wenn ich von der Arbeit nach Hause komme, beginnt mein Zweitjob – ein wunderschöner zwar, aber deswegen nicht minder schweißtreibend. Trotzdem: Ich habe in den vergangenen zwei Jahren nie mit dem Gedanken gespielt zu tauschen. Vielleicht liegt das daran, dass nun alles, was ich tue, einen wirklichen Sinn hat. Einen Sinn, der Karl heißt.

Mein Leben hat im November 2008 plötzlich einen Mittelpunkt bekommen: einen Mittelpunkt, der mich jeden Tag aufs Neue mit Energie versorgt, weil ich weiß, wofür ich mich eigentlich abmühe. Und der mir vor Augen führt, wie bedeutungslos mein vorheriges Dasein gewesen ist. Vor Karls Geburt haben recht egozentrische Ziele mein Leben bestimmt, rückblickend betrachtet: zunächst wollte ich schnell die Ausbildung abschließen, danach bei möglichst wenig Arbeit möglichst viel Geld verdienen, um viel zu konsumieren, die Welt sehen und das Leben genießen zu können.

 

Andere Prioritäten und ein neu-gefundener Sinn

Diese Bedürfnisse gibt es immer noch. Aber mein Leben dreht sich nicht mehr um sie, sondern um meine Familie. Wenn ich heute viel Geld verdienen möchte, dann nicht mehr nur um meinetwegen, sondern vor allem, damit meine Familie besser, schöner leben kann. Ohne meinen Sohn und meine Frau machen sie für mich keinen rechten Sinn mehr.

Wer selbst keine Kinder hat, versteht das oft nicht. Diese Erfahrung habe ich häufig machen müssen. Ich bin ja bereits wenige Monate nach meinem 26. Geburtstag Vater geworden, als erster in meinem Freundeskreis. Ein Jugendfreund, mit dem ich mich früher blind verstanden hatte, stellte wenige Wochen nach Karls Geburt resignierend fest, dass sich unsere Ziele binnen kurzer Zeit stark voneinander entfremdet hatten: „Du bist jetzt einfach in einer ganz anderen Phase als ich“, sagte er und hatte Recht. Ich war ruhiger geworden und nahm das Leben ernst, sehr viel ernster als vorher.

Im kommenden Mai werde ich zum zweiten Mal Vater. Wenn alles so wird wie bei Karls Geburt, dann bin ich ab dem nächsten Jahr also wieder in einer ganz anderen Phase, wieder ein neuer Mensch. Ich bin gespannt. Und ich freue mich darauf.

Der Autor:
Jakob Wetzel, 28, hat Philosophie sowie Geschichte studiert, arbeitet als Stadtführer und freier Autor und absolviert derzeit die Deutsche Journalistenschule in München. Mit seiner Frau und seinem Sohn Karl lebt er in München-Bogenhausen.