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Die Topographie einer Stadt – und wie sich deren Wahrnehmung mit Kindern ändert

Als Teenager kennt man die coolen Clubs einer Stadt, später die Kneipen – und wie ist das, wenn man Kinder hat? Man sieht seine Stadt mit neuen Augen, denn bisher kaum wahrgenommene Orte bekommen eine Bedeutung, wie Andreas Clevert feststellt.

Wer das Glück - oder das Pech - hat, ein ortsfestes Leben zu führen, wird die folgenden Gedanken bestätigen können. Die Stadt um einen herum verändert sich. Nicht so, wie es dem ersten Augenschein entspricht: Da ein Haus abgerissen. Hier ein neuer Radweg. Dort schließt der einem ans Herz gewachsene Laden. Mensch, ganz goldig, der neue Coffee-to-go-Shop am Ende der Fußgängerzone. Das sind uns allen geläufige Änderungen, die einen bis ins Spiegelbild verfolgen. Die meine ich nicht.

 

Es sind die Orientierungspunkte einer Stadt, unsere Anlaufstellen, die sich verändern, wenn sich unser Leben ändert. Ich stelle mir das immer so ein bisschen wie Google Maps vor. Die große Masse zweidimensional. Und die wichtigen Sehenswürdigkeiten in 3d. Alle meine Lieblingskneipen dreidimensional. Und dann das Update des Lebens. Alles wieder flach und die Spielplätze und Schulen erstehen aus der Fläche...

Neue Orientierungspunkte, die an Relevanz gewinnen

Lange war für mich die Grundschule des Viertels nur der Ort gegenüber dem Glascontainer. Ja, klar, ich war immer wieder dort, wenn man alle Jahre wieder seinen Wahlzettel für irgendeine Lokal-, Land- oder Bundestagswahl einzuwerfen hatte. Sonntagmorgen schnell rein und wieder raus. Das Altglas aber nur unter der Woche. Und heute? Fast jeden Wochentag eile ich mit unserem Zweitklässler dorthin, mal lachend und erzählend, mal hektisch und fluchend. Nass, weil ich nicht unter den Regenschirm passe, oder schwitzend, weil die Sonne knallt, und ich schon wieder den unerbittlichen 8-Uhr-Schulgong viel zu früh höre. Also, dass das klar ist: Der Gong geht schon richtig, nur wir halt nicht. Wie dem auch sei, dieser Ort wurde wichtig in meinem Leben, mit Leben gefüllt. Der kleine Spielplatz nicht weit entfernt von dieser Grundschule, ist da schon wieder ein bisschen am Verblassen.

Klar, vor ein oder zwei Jahren kannten wir noch jede Mutter, jeden Vater dort. Aber jetzt meinen unsere großen Jungs, dass der ´Babyspielplatz´ ja uncool sei, null Action und so. Und der Kleine, mit seinen knapp 3 Jahren fügt sich natürlich diesem Urteil. Wobei die Wippe, die Rutsche, das Häuschen und einfach der Sand doch noch absolut seine Kragenweite sind!

Aber die richtig coolen Spielplätze in unserer Stadt, die kenne ich alle. Sie haben bei uns in der Familie auch ihre Namen bekommen. Der Spielplatz mit den Stöcken. Der Spielplatz mit den Seilen, usw.

Hätte mich jemand vor ein paar Jahren nach Spielplätzen meiner Stadt gefragt, ich hätte achselzuckend mit dem Kopf geschüttelt und vage auf den Stadtpark verwiesen. Auf dem Weg zu meiner Stammkneipe. Die gehörte damals ganz klar zu meinem wichtigsten Haltepunkt in meiner Stadt. Und dort, wo die Live-Musik war. Wo es nach Mitternacht noch was Warmes zu essen gab. Und. Und. Und.

Und nicht nur die Kinder verändern den Blick auf die Umgebung

Heute versuche ich mit Blick auf Kneipen bei meinen jüngeren Arbeitskollegen so ein bisschen mitzureden. Vorsichtig, weil ich keine Ahnung mehr habe, ob hier noch Bands spielen, oder dort die Essensausgabe nicht um zehn eingestellt wird.

Fragen Sie mich doch heute bitte nicht nach den weiterführenden Schulen vor Ort. Keine Ahnung. Kommt noch.

Und dann? Irgendwann: Wo der Gehweg nicht ordentlich abgesenkt ist. Wie man ganz fies mit Gehstock und Rollator hängen bleiben kann. Die einzige Konditorei, die barrierefrei ist. Kommt noch. Alles hat seine Zeit.

 

zum Autor:
Andreas Clevert, Jahrgang 1970, ursprünglich aus Esslingen stammend, lebt mit seiner spanischen Frau und seinen drei Jungs/Söhnen  (*2008, *2010 und *2013) in Bonn. Mehr von seinen Erlebnissen lesen Sie unter www.vaterdasein.wordpress.com