Weisheiten wie „Was uns nicht tötet, macht uns hart“ oder „Indianerherz kennt kein Schmerz“ betrifft meist Männer. Doch stimmig sind sie natürlich nicht, denn Männer leiden wie Frauen unter Krankheiten, auch unter seelischen Erkrankungen. Nur diagnostiziert werden letztere selten, wie eine Studie herausfand.
Depressionen, Ängste, Sucht: Das stille Leiden der Männer
Männer gelten nur dann als krank, wenn sie körperliche Beschwerden haben. Und selbst die werden oft belächelt. Die Gründe liegen teilweise bei den Männern selbst, zum Teil aber auch bei Ärzten und dem gesellschaftlichen Bild, das sie in sich tragen. Gerade psychische Erkrankungen werden von und beim Mann oft völlig ausgeblendet. Allerdings verschwinden sie dadurch nicht.
Tabu Traurigkeit
Die „Stiftung Männergesundheit“ und die „Deutsche Krankenversicherung (DKV)“ haben kürzlich ihren „Männergesundheitsbericht 2013“ vorgelegt und kommen zu erschreckenden Erkenntnissen. Demnach leiden viel mehr Männer unter Ängsten, Depressionen und anderen seelischen Krankheiten als bislang angenommen. Zwar gibt es psychische Leiden, von Angehörigen, Freunden oder Ärzten werden sie aber laut der Studie nicht oder falsch wahrgenommen. Ein Beispiel unterstreicht diese Annahme eindrucksvoll: Einerseits soll es angeblich deutlich weniger Männer als Frauen mit Depressionen geben. Andererseits ist die Selbstmordrate bei Männern dreimal so hoch wie die bei Frauen. Für die Autoren des Berichts handelt es sich hierbei um eine „Depressionsblindheit“, die unterschiedliche Ursachen hat.
Gespräch unter Männern
Wenn ein Mann, der unter einer psychischen Erkrankung leidet, zum Arzt geht, stehen die Chancen, dass diese erkannt wird, besser, wenn er eine Medizinerin aufsucht. Die Kommunikation zwischen männlichem Mediziner und Patienten folgt nämlich meist einem eher autoritären und kaum einfühlsamen Stil auf Seiten des Arztes. Der männliche Patient dagegen neigt bei Ärzten eher dazu, seine wirklichen Probleme zu verschweigen. Das führt dazu, dass Symptome nicht erkannt bzw. falsch gedeutet werden. So greifen depressive Männer gern zum Alkohol oder verhalten sich aggressiv, statt die eigentlichen Gefühle wie Niedergeschlagenheit und Selbstzweifel nach außen zu tragen. Zu diesen Schlüssen kommen die Autoren der Studie.
Starke Hülle, schwaches Inneres
Unter Männern gelten Zweifel, Ängste oder gar Depressionen als „Un-Worte“. Wer über derlei Dinge spricht und sich als Betroffener outet, fühlt sich schnell als Versager, der „es nicht bringt“ oder wird so wahrgenommen. Das steht im Widerspruch zur Studie „Männergesundheit“, die zum Schluss gekommen ist, dass Männer im Beruf stärker unter Stress und Druck leiden als Frauen. Schon darüber zu reden fällt ihnen extrem schwer. Was die Rolle des Mannes des Weiteren so schwierig macht, ist Gewalt. Laut Untersuchung werden Männer rund doppelt so oft mit dem Thema Gewalt konfrontiert wie Frauen – und zwar sowohl als Täter als auch als Opfer. Daraus ergeben sich in vielen Fällen Angststörungen, die jedoch durch die gewalttätigen Symptome nicht als solche interpretiert werden.
Ein Urologe reicht völlig aus
Die Sozialwissenschaftlerin Anne Maria Möller-Leimkühler leitet an der Psychiatrischen Klinik für die Bereiche Psychiatrie und Psychotherapie der LMU München die Forschungsabteilung Psychiatrische Soziologie. Sie findet klare Worte, um männliche Gesundheit bzw. Krankheit auf den Punkt zu bringen: „In weiten Teilen der Medizin und des öffentlichen Bewusstseins geht Männergesundheit noch nicht über die Urologie hinaus.“ Psychische Störungen bei Männern sind ein Tabu, das nur dann gebrochen wird, wenn ein Mann durch Mord oder andere schwere Gewaltdelikte auffalle. Dabei sind die Zusammenhänge zwischen psychischen und physischen Erkrankungen offensichtlich und längst bekannt. Dennoch werde bei Männern dieser Zusammenhang einfach nicht hergestellt oder erfragt. Statistiken belegen die extremen Auswirkungen dieser fahrlässigen Praxis. Ihnen ist zu entnehmen, dass Männer mit psychischen und physischen Krankheiten gegenüber chronisch kranken Männern im Schnitt 20 Lebensjahre verlieren. Eine erschreckende Zahl, die vermeidbar wäre, würde man sich mit dem Thema offener beschäftigen.
Mut zur Angst!
So lange das Bild des Mannes so ist, wie es ist, wird es kaum zu einer Veränderung kommen können. Das meint jedenfalls Matthias Stiehler, der Vorstandsmitglied bei der „Deutschen Gesellschaft für Mann und Gesundheit“ ist. Dabei geht es nicht nur um das eigene Empfinden von Männern, sondern auch um die Darstellung durch die Medien. Laut Stiehler zeichnen diese gern das Bild des Vorsorgemuffels oder gar des Gesundheitsidioten. Ganz falsch ist das Stiehlers Ansicht nach wahrlich nicht immer. Daher müssten Männer auch vermehrt in die Pflicht genommen werden, wenn es um das Bewusstsein für die eigene Gesundheit geht. Einhergehen muss das seiner Meinung nach aber mit einer grundlegenden gesellschaftlichen Veränderung.
Wie aber soll eine solche Veränderung herbeigeführt werden? Stiehler hat dazu durchaus Ideen. Er sagt: „Aktivitäten in Prävention und Gesundheitsförderung müssen von Empathie getragen sein, da sie sonst Abwehr erzeugen." Derzeit sei es noch so, dass Frauen grundsätzlich viel gesundheitsbewusster sind als Männer, die auch für Präventionsmaßnahmen nur schwer zu gewinnen sind. Genau an diesem Punkt müsse man ansetzen und die Angebote für Männer erweitern. Es mag ein wenig klingen, als würde man Drogenabhängigen effektive Angebote zum Entzug machen wollen, nur dass es hier um Gesundheitsbewusstsein für Männer geht. Tatsächlich aber meint Stiehler, dass das Verständnis für die eigene Gesundheit nicht einfach so entstehe. So ist er der Meinung: "Nicht die Männer müssen den Angeboten schmecken, sondern die Angebote müssen zu den Männern passen." Davon ist die Gesellschaft derzeit noch weit entfernt, denn bisher "entsprechen die Angebote nicht der Lebenswirklichkeit von Männern."