Wenn der Vater mit dem Sohne einen Spaziergang unternimmt, dann kann er was erleben. Ganz besonders dann, wenn er versucht, seinem zweieinhalbjährigen Sohn die Führung zu überlassen.
Wenn der Vater mit dem Sohne – Ein ganz besonderer Spaziergang
Wir treten vor die Haustür.
„Wo wollen wir langgehen? Rechts oder links?“ Maximilian überlegt nur kurz, denn er hat die Entschlossenheit seines Vaters geerbt. Allerdings auch die Unberechenbarkeit seiner Mutter. Wir gehen geradeaus.
Die gegenüberliegende Wiese ist sein Ziel. Denn Maximilian liebt Blumen. Fast so sehr wie seine Mama, seine Schwester, Süßigkeiten, sein Feuerwehrauto mit der kaputten Leiter, unseren Hund und mich.
Nachdem er dafür gesorgt hat, dass die Pusteblumen auch nächstes Jahr wieder in ausreichender Zahl vorhanden sein werden, setzen wir unseren Weg fort.
Wir kommen zügig voran und schon nach einer halben Stunde haben wir die ersten 100 Meter hinter uns gelassen. Stöcke, Steine, Blätter – sogar der Müll am Straßenrand ist einen Blick wert und will untersucht werden. Allerdings wird mir langsam warm, was bei 25 Grad Außentemperatur niemanden verwundern mag.
Nach unzähligen Kletterversuchen auf die höchsten Mauern der Umgebung, bei denen ich meinem Sohn wohl mindestens dreimal das Leben rette und weitere viermal vor schwereren Verletzungen bewahre, erreichen wir schließlich den Park.
Das Park-Problem
Herrlich, hier lässt es sich aushalten. Eine Oase der Ruhe. Nichts stört, bis auf eine liebliche Stimme, die plötzlich an mein Ohr dringt.
„Papa! Ah-ah!“ Diese Worte sind international und werden auf der ganzen Welt verstanden. „Nein, nicht, mach das zu Hau …“ Den Rest kann ich mir sparen. Er hockt schon da und lässt der Natur ihren Lauf.
Maximilian, ein ganzer Kerl, will sich natürlich auch in dieser Zeit nicht langweilen.
Mangels Zeitung und Lesekenntnissen besinnt er sich auf das, was er schon prima kann: Er stellt nebenbei ein recht geschmackvolles, kleines Blumenarrangement zusammen.
Blumen, immer wieder Blumen. Wenn frühere Vorlieben spätere Karrieren bestimmen, wird er es als Florist weit bringen.
Fünf Minuten später ist die Sitzung beendet. Eine Geruchsprobe aus einem Meter Entfernung bestätigt: Er hat seine Drohung wahr gemacht.
„Vielen Dank für die Blumen“, seufze ich meinem Sohn zu, als er mir sein, jetzt arg ramponiertes, Blumensträußchen in die Hand drückt.
Stinkend, aber sichtlich erleichtert, will er seine Erkundungstour fortsetzen. Ich nicht.
Angestrengt überlege ich, was zu tun ist. Es versteht sich von selbst, dass ich weder Ersatzwindeln noch Reinigungstücher bei mir trage. Das konnte ja keiner ahnen. Bis auf meine Frau vielleicht, die mir noch den Rat gab, diese Utensilien nicht zu vergessen.
Väterliche Strenge
Die nahegelegene Drogerie ist meine Rettung. Findige Köpfe haben extra für vergessliche Väter einen Wickelplatz mitsamt dem erforderlichen Zubehör eingerichtet.
Es gibt nur ein Problem: Maximilian will nicht. Die Taubenjagd scheint spannender zu sein. Und eine vollgeschissene Windel offenbar kein Hinderungsgrund. Nun ist es an der Zeit, dass ich meine volle väterliche Autorität in die Waagschale werfe. „Maximilian, was hältst du davon? Wir gehen zuerst in die Drogerie, wechseln deine Windel und danach kaufen wir uns ein Eis.“ Das hat gesessen. Er wagt keine Widerrede und beugt sich meiner unbarmherzigen Forderung. So schnell ihn seine kleinen Füße tragen können, strebt er er dem Eisstand zu, den er schon so gut kennt.
Kurz bevor er ihn erreicht, müssen wir noch einmal neu verhandeln, denn Teil 1 unserer Abmachung ist ihm entfallen. Aber er lässt mit sich reden und kurze Zeit später vermischen sich die Düfte von Chanel, Lagerfeld und Dior mit der ganz besonderen Note meines Sohnes.
Es ist eine wahre Freude, wie er danach sein Eis verputzt.
Eine Freude, die meine Frau angesichts größerer Schokoflecken und einer Spur Erdbeereis auf seinem T-Shirt nicht teilen wird. Egal, heute ist unser Tag. Heute ist Männertag! Auf in die Wildnis - zurück in den Park.
Vergangenheit und Gegenwart
Und so entdecken wir zusammen noch allerlei Aufregendes: Schnecken und Spinnen kreuzen unseren Weg, große Steine gilt es, aus dem Weg zu räumen und die höchsten Bäume wollen erklommen werden.
Banale Dinge, die in unserem Erwachsenenalltag keine Rolle mehr spielen, aber in diesem Moment für einen Zweieinhalbjährigen die ganze Welt bedeuten. Mehr als einmal habe ich mich während dieser Zeit an meine eigene Kindheit erinnert. Daran, wie mein Vater mit mir die Gegend unsicher machte und welchen Spaß wir dabei hatten. Eine schöne Zeit, an die ich gern zurückdenke.
Doch mir bleibt keine Zeit für weitere Sentimentalitäten, denn Maximilian zeigt aufgeregt mit dem Finger auf den Boden. „Papa, Mei!“
Ah ja, tatsächlich - eine Ameise. Sekunden später beendet ein kleiner, schmutziger Jungenfinger ihr arbeitsreiches Leben. Mit ernster Miene und väterlichem Nachdruck erkläre ich ihm, dass wir keine Tiere töten. Schon gar nicht mit bloßen Händen.
Er nickt.
Er sagt: „Ja, Papa.“
Er hat verstanden.
Die nächste Ameise erledigt er mit dem Fuß.
Ein wenig frustriert beende ich meine Blauhelm-Mission. Es wird Zeit für friedlichere Aktivitäten. Wir wenden uns dem Schwertkampf zu. Stöcke gibt es genug und Maximilian wählt die Waffen. Erstaunlich, ich bekomme immer die, welche kaum länger als mein Zeigefinger sind, während Maximilians Schwert meist länger ist, als er selbst.
Die Zeit vergeht und Maximilians Kräfte lassen nach. Ein „Papa hoh“ signalisiert es mir ganz deutlich. Natürlich nehme ich ihn hoch. Er legt seine Arme um mich, presst sein Gesicht an meines und plötzlich höre ich ihn sagen: „Papa lieb!“
Und jetzt wissen Sie auch, liebe Leserinnen und Leser, warum dieser Spaziergang für mich etwas ganz Besonderes war. Denn diese Worte hat er noch niemals zuvor gesagt.
Vielleicht hatte ich heute nicht meinen produktivsten Tag. Und möglicherweise war es um meine erzieherischen Erfolge auch nicht so gut bestellt. Aber wir hatten einen Riesenspaß und waren uns so nahe, wie schon lange nicht mehr.
Und noch etwas: Ich habe die Welt mit Kinderaugen gesehen - war kurz selbst wieder Kind. Das hat mir unwahrscheinlich gut gefallen.
Genau 2 Stunden und 37 Minuten waren wir unterwegs.
Keine Sekunde davon war verschwendet.
Der Autor:
Daniel Polzer arbeitet als freiberuflicher Texter und Werbetexter.
Mit seiner Frau und seinen beiden Kindern lebt er in Leipzig.