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Wenn ein Elternteil fehlt – wie Kinder reagieren und Eltern helfen können

Wenn ein Elternteil stirbt oder sich nach einer Trennung gänzlich aus der Familie verabschiedet, dann fehlt Kindern ein wichtiger Halt im Leben, ganz gleich, ob es sich um Vater oder Mutter handelt. Die Auswirkungen sind fatal, denn Kinder brauchen Vorbilder aus beiden Geschlechtern.

Für die optimale Entwicklung braucht das Kind die „Triade“, die Mutter-Vater-Kind-Beziehung. Dabei ist es nicht von entscheidender Bedeutung, dass die Eltern zusammenleben. Wichtig ist, dass beide Elternteile für das Kind erreichbar und erlebbar sind. Während das Fehlen der Mutter schon immer als allgemein schwierig gewertet wurde, ist die Bedeutung des Vaters und die Probleme, die seine vollkommene Abwesenheit aufwerfen, erst in den letzten Jahren in den Fokus gerückt.

 

Ab welchem Lebensalter fehlt der Elternteil?

Je nachdem, in welchem Alter die Trennung von einem Elternteil stattfindet, ergeben sich unterschiedliche Auswirkungen und ein jeweils altersgerechter Handlungsbedarf des verbleibenden Elternteils. Denn wenn Vater oder Mutter fehlen, kann das nicht einfach ignoriert werden. Es besteht für den anwesenden Elternteil Handlungsbedarf, um dem Kind die besten Möglichkeiten zur Entwicklung zu geben.

  • Die Eltern waren nie ein Paar: Kennt das Kind den fehlenden Elternteil überhaupt nicht, zum Beispiel bei einem Todesfall oder einer frühen Trennung vor oder nach der Geburt des Kindes, dann ist es wichtig, dem Elternteil eine Gestalt zu geben: Durch Erzählungen, durch Fotos. Dabei sollte ein möglichst vielschichtiges Bilde gezeichnet werden, das heißt, die Person sollte weder glorifiziert, noch total negativ dargestellt werden. Jedes Kind hat zwei Eltern – auch wenn es diese nicht mal kennt. Das Kind fühlt sich dann „normal“, wenn es weiß, es hat auch einen Vater oder eine Mutter, auch wenn diese/r gerade nicht anwesend ist.
  • Verlust vor dem fünften Lebensjahr: In diesem Lebensalter ist der in der Psychoanalyse als „Ödipuskomplex“ benannte Entwicklungsabschnitt angesiedelt. Das Kind interagiert mit den Eltern, es versucht, die Eltern gegeneinander auszuspielen und so die Beziehungen zwischen den Eltern als Paar und innerhalb der Triade auszuloten. Es entwickelt innerhalb dieses Prozesses die Fähigkeit, sich selbst aus der Perspektive anderer Personen zu sehen.
  • Ein Elternteil fällt nach dem fünften Lebensjahr weg: Das Kind hat die Entwicklungsschritte in der vorherigen Phase gemeistert und ist so schon ein Stück weiter, was die Persönlichkeitsbildung angeht. Jetzt kann es die weitere Entwicklung wahrscheinlich leichter bewältigen als ein Kind, das schon früher den Verlust eines Elternteils erleben musste.
  • In der vorpubertären und pubertären Phase steckt ein Kind eine Trennung vielleicht verstandesmäßig leichter weg, emotional ist der Verlust jedoch ebenso hart, wenn nicht sogar härter, da Kinder in diesem Alter bereits eine recht deutliche Vorstellung des Begriffs „für immer“ haben.

Der Verlust eines Elternteils in kritischen Phasen und die damit verbundenen Entwicklungsdefizite können allerdings selbst in der Erwachsenenzeit noch kompensiert werden. Die Persönlichkeitsentwicklung ist eine laufende Phase, die in der Verantwortung jedes Einzelnen für sich selbst liegt.

Wie kann der Restfamilie geholfen werden?

Unterstützung aus dem Freundes- und Verwandtenkreis kann viel dazu beitragen, dass der Verlust eines Elternteils nicht zu einem dauerhaften traumatischen Ereignis wird. Emotionale und praktische Unterstützung entlasten den verbliebenden Elternteil und damit auch das Kind. Besonders wichtig ist, dass das Kind, je nachdem, ob Vater oder Mutter fehlen, eine alternative Vertrauensperson findet, die teilweise die erzieherischen Aufgaben übernimmt. Eine männliche Vertrauensperson sollte klare Grenzen ziehen und dem Kind eine Identifikationsfigur (bei Jungen), bzw. einen „Sparringspartner“ (bei Mädchen) bietet. Fehlt die Mutter ist eine liebevolle und verlässliche Frau hilfreich. Diese Personen finden sich oft im nahen Verwandtenkreis. Denkbar ist auch, dass die jeweiligen Taufpaten diese Aufgaben übernehmen.

Ersatz des fehlenden Elternteils

Geht der alleinerziehende Elternteil eine neue Partnerschaft ein, dann kann dieser neue Partner nicht einfach Vater oder Mutter ersetzen. Jedes Kind hat seine biologischen Eltern, seine Ursprungsfamilie und dies sollte geachtet werden. Wie sich eine neue Paarbeziehung innerhalb der Elternteil-Kind-Beziehung gestaltet und entwickelt, hängt von verschiedenen Faktoren ab, so zum Beispiel von der Sympathie zwischen Kind und neuem Partner und auch dessen Ambitionen, sich an der Erziehung zu beteiligen. Oft kann eine Lösung sinnvoll sein, in der der neue Partner die Aufgabe als Vorbild und Bezugsperson annimmt und sich auch an der Erziehung des Kindes beteiligt. Andererseits ist auch denkbar, dass der neue Partner in erster Linie den Elternteil unterstützt und sich aus der Erziehung weitgehend heraushält.