© Dasha Petrenko - Fotolia.com

Der Vater – für die Wissenschaft ein noch weitgehend unbekanntes Wesen

Mütter könnte man fast als „erschöpfend erforscht“ bezeichnen. Die Psychologie hat sich in den letzten Jahrzehnten ausgiebig damit beschäftigt, was in Müttern vorgeht und wie sie empfinden. Bei Väter sieht es dagegen recht übersichtlich aus. Der Mann als Vater ist ein weitgehend unerforschtes Subjekt. Das soll sich nun ändern.

Eine bezeichnende Szene:

Eine kleine Familie steht in der Apotheke. Der Grund dafür ist die 7-jährige Tochter, die ein wenig kränkelt. Beim Kinderarzt waren Mutter und Vater bereits, die Kleine hat etwas Harmloses. Dennoch soll ein leichtes Medikament helfen, die Beschwerden so schnell wie möglich zu vertreiben. Der Apotheker (oder auch die Apothekerin) sieht auf das Rezept, geht nach hinten und kommt mit einer Packung des gewünschten Medikaments zurück. Dann geschieht es! Er (oder sie) gibt es der Mutter. Es folgen erklärende Worte über die Einnahme. Alles wird an die Mutter gerichtet. Der Vater steht da und sieht sich ratlos in der Apotheke um. Er denkt an ein Erlebnis vor einem guten Jahr, als er ebenfalls – nur diesmal alleine – ein Medikament aus der Apotheke holen sollte. Damals sagte die Frau am Tresen: „Ja, wo ist denn Ihre Frau? Ich müsste noch etwas zum Medikament sagen.“

Heute ist er noch ratloser, denn er versteht nicht, warum er als Vater offenbar keine Kompetenzen in Sachen Medikamentenvergabe haben soll. Der Apotheker (oder die Apothekerin) könnte es ihm auch nicht sagen - weil sie durch ein besonderes Vaterbild geprägt sind. Die Psychologin Lieselotte Ahnert will nun Väter genau erforschen und herausfinden, wie sie ticken. Dafür hat sie eine groß angelegte Studie gestartet.


Väteraufbruch mit dem CENOF

Das „Central European Network on Fatherhood (CENOF)“ wurde im Jahr 2012 gegründet. Die Ansprüche sind hoch, denn es geht um die Erforschung unterschiedlicher Perspektiven von Vätern, um Bio-, Persönlichkeits-, Arbeits-, Evolutions- und Entwicklungspsychologie, es geht um Psychopathologie und um das alltägliche Innenleben von Vätern.

Lieselotte Ahnert hat gemeinsam mit Kollegen und Kolleginnen vor kurzem das Projekt „Väteraufbruch“ ins Leben gerufen und erhält dafür üppige Mittel. Nur deshalb war es möglich, insgesamt 3.700 Männer an der Studie zu beteiligen. Es geht Ahnert um die Frage, wie die Motive von Vätern aussehen, welche Ziele sie sich beim Zusammenleben mit ihren Kindern setzen und – nicht zuletzt – wie sich all das auf das gemeinsame Leben auswirkt.


Sechs Einzelprojekte sollen ein Gesamtbild ergeben

Das Projekt von Lieselotte Ahnert und ihren Kollegen und Kolleginnen – aufgeteilt auf sechs Einzelprojekte mit unterschiedlicher Gewichtung - aus der Schweiz, aus Österreich und aus Deutschland will den Vater nicht (ausschließlich) aus biologischer Sicht betrachten, sondern bezieht auch andere Aspekte mit ein. Eines davon ist das Zusammenleben als Patchwork-Familie, das längst zur Normalität geworden ist. Ahnert selbst hat ihren Schwerpunkt auf die Vater-Kind-Bindung von Frühgeborenen gelegt.


Forschen in Echtzeit

Die Faktoren, die bei der Arbeit von Lieselotte Ahnert eine Rolle spielen, sind für sich betrachtet nicht neu. Es geht um Kooperation, Frustrationstoleranz und soziale Techniken, die Kinder entwickeln oder erlernen. Neu daran ist jedoch die Tatsache, dass diese Aspekte nicht im Zusammenhang mit der Mutter, sondern dem Vater erforscht werden. Dabei gehen Ahnert und ihre Kollegen anders vor, als es sonst üblich ist. Während normalerweise befragte Personen in einem regelmäßigen Intervall rückwirkend über das Erlebte berichten, bekommen die teilnehmenden Väter regelmäßige SMS auf ihr Handy, aufgrund derer sie notieren sollen, was sie gerade jetzt im Augenblick tun. Diese Methode hat den Vorteil, dass unscharfe Erinnerungen das Ergebnis nicht trüben können.


Weichenstellung für die Zukunft?

Die Erforschung des Vaters kann durchaus weitreichende Folgen haben. Während der Vater bisher oft als „Beiwerk“ galt, das als witziger Spielkamerad oder guter Kumpel fungiert, könnten die Ergebnisse von Lieselotte Ahnert und ihrem Team die Fähigkeiten und ganz besonders die Bedeutung des Vaters für das Kind in ein völlig neues Licht rücken. Bisher ist es nicht möglich, die Bindung zwischen Vater und Kind mit erprobten Messverfahren zu belegen. Die traditionellen Verfahren, die bisher bei Müttern angewendet wurden, können nicht 1:1 auf Väter übertragen werden. Das ist für Ahnert jedoch nur eine weitere Herausforderung, die sie vor hat zu meistern.

Nach und nach wird der Vater dank Lieselotte Ahnert nun also erforscht und seine Bedeutung innerhalb der Familie und bei der Erziehung neu definiert. Das könnte auch Einfluss auf die Beziehung zwischen Männern und Frauen insgesamt haben. Selbst der Ausgang von Sorgerechtsprozessen könnte mit den neuen Erkenntnissen künftig einen anderen Verlauf als bisher nehmen.

Am wichtigsten jedoch sind die Untersuchungen von Lieselotte Ahnert sicherlich, um die Bedeutung der Beziehung zwischen Vater und Kind zu untermauern. Sie ist nämlich meist viel intensiver als angenommen.


Warum erst jetzt?

Bleibt beim derzeitigen Wissensstand die Frage, warum der Mann als Vater bisher so stiefmütterlich behandelt wurde und kaum Interesse daran bestand, ihn einmal auf „Herz und Nieren“ psychologisch unter die Lupe zu nehmen. Die Antwort bewegt sich im Reich der Spekulationen, aber man kann wohl annehmen, dass allgemein bislang einfach nicht die Notwendigkeit erkannt wurde, die Beziehung zwischen Vater und Kind zu untersuchen. Doch in den letzten Jahrzehnten ist eine neue Generation von Männern (und Vätern) herangewachsen. Eine, die den Nachwuchs nicht als pragmatische Vervollständigung der Familie betrachten, sondern ihre ganze Liebe und Hingabe darauf fokussiert. Es wird also Zeit, sich dem Vater auch auf wissenschaftlicher Ebene zu widmen.