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Papa am Rande des Nervenzusammenbruchs oder als ich mich meinem Kind gegenüber erstmals hilflos fühlte

Viele Väter haben Respekt davor, das erste Mal über längere Zeit alleine mit ihrem Baby zu Hause zu sein. Nicht so unser Autor, denn seine Tochter Lilly hatte ja früher noch nie Probleme gemacht und auch das Füttern hatte in der Nacht immer gut geklappt. Aber diesmal war alles anders …

Unsere Tochter Lilly war die ersten sechs Monate ihres Lebens immer unkompliziert gewesen. Lange Zeit fragten wir uns, ob dieses Kind denn überhaupt schreien könne. Wir gaben unserer Kleinen aber auch wenig Anlass dazu. Wenn sie durch quengeln andeutete, dass ihr etwas nicht passte oder sie ein Bedürfnis hatte, dann sorgten meine Frau und ich sofort dafür, dass es ihr wieder gut ging. Dabei half uns, dass sie sehr berechenbar und somit auch leicht zu durchschauen war. Uns war bei alledem stets bewusst, dass wir hier vor allem viel Glück und ein ausgeglichenes Kind hatten und es keinesfalls unser Verdienst als „Super-Eltern“ war, dass wir so wenig Probleme hatten.

 

Mama geht in die Sauna – was soll da schon schiefgehen?

Durchgeschlafen hat unsere Lilly trotzdem noch nicht – und auch die Umstellung auf Brei lief extrem schleppend an. Daher riet ich meiner übernächtigten Frau, unserer wandelnden Milchbar, doch einfach einmal einen Abend eine Auszeit zu nehmen und in die Sauna zu gehen. Dort wäre sie eben für fünf Stunden weg und auch nicht über Telefon erreichbar. Früher hatte ich die Kleine nachts schon häufig mit einem Fläschchen abgepumpter Milch gefüttert. Warum sollte das diesmal nicht auch klappen? Wenn ich gewusst hätte, wie falsch ich diesmal lag …

Als Mama am frühen Abend das Haus verließ, da schlief Lilly auch bald im Stubenwagen ein. Sehr schön, so dachte ich und nutzte die Zeit zu einem Telefonat mit den Großeltern. Nach einer knappen halben Stunde wachte unsere Kleine wieder auf. Ich lächelte sie an und nahm sie in den Arm. Kein Problem soweit. Dann begann sie zu quengeln. An einer vollen Windel konnte es nicht liegen, da war ich mir sicher. Dann will sie wohl das Fläschchen, dachte ich. Auch gut. An der Flasche mit Milch saugte sie jedoch nur mit mäßigem Interesse. Lag es an dem Silikonsauger? Lillys Laune wurde schlechter.

Aus anfänglichem Baby-Quengeln wird dauerhaftes Geschrei

Vielleicht will sie Unterhaltung, dachte ich. Ich legte mich mit ihr auf ihre Spielinsel und gab ihr ihre Lieblingsspielzeuge in die Hand. Das half nichts. Das Quengeln wurde lauter. Ich trug sie herum und wog sie in meinen Armen. Aus dem Quengeln wurde langsam ein Schreien. Ich versuchte es noch einmal mit der Flasche, denn Nahrungszufuhr – wenn auch über die Mutterbrust – hat die Kleine noch immer beruhigt. Nach zwei zaghaften Versuchen spuckte sie den Sauger wieder aus. Dabei spritzte etwas Milch über mich und das Sofa. Das fehlte noch. Ich hob Lilly hoch, legte sie in den Kinderwagen, schob diesen hin und her und sang ihre Lieblingslieder. Lilly schrie nun – und ich begann, mich zu fragen, was denn noch helfen könnte. Ich gab ihr den Schnuller, der sie früher oft beruhigt hatte. Sie spuckte ihn umgehend aus. Auch die Bewegung des  Kinderwagens schien keine beruhigende Wirkung zu haben. Also nahm ich meine schreiende Tochter wieder heraus, wog sie unter gutem Zureden und Liedern im Arm und streichelte sie. Ob wohl gemeinsames Schaukeln in der Hängematte und ein Buch für Ablenkung sorgen würde? In der Vergangenheit fand sie das schön. Nicht heute. Lilly schrie lauter als zuvor. Noch ein Versuch mit dem Fläschchen? Ein Fehlschlag.

Als Vater hilflos – was hätte ich für ein paar Mutterbrüste gegeben

Ich fühlte mich inzwischen hilf- und nutzlos. Meine Frau hätte die Kleine an ihre Brust gelegt und das ganze Theater hätte ein Ende gehabt, da war ich mir sicher. Und ich als Vater? Welche Möglichkeiten hatte ich? Das Fläschchen nahm sie nicht an und es beruhigte sie an diesem Abend ebenso wenig wie meine Umarmungen, meine Liedchen, mein gutes Zureden. Unsere Tochter schrie. Ich fühlte mich als Versager. Was hätte ich in dem Moment für ein paar Mutterbrüste gegeben. Frauen wissen einfach nicht, was für ein Glück sie haben, dachte ich noch.

Das Schreien ging weiter – was ich auch versuchte. Ich war mir sicher, meine Tochter hasst mich. Es ging mir nah – die Hilflosigkeit, die Lautstärke direkt an meinem Ohr. Ich war kurz davor, aus dem Zimmer und der Wohnung zu rennen und laut zu schreien, so groß war meine Verzweiflung.

Meine Tochter hasst mich

Schließlich nahm ich die Kleine mit mir auf den Balkon. In der kalten Nacht wurde sie still, die Dunkelheit beruhigte sie. Ich blieb noch eine Weile mit ihr draußen, wärmte sie mit meinem Körper und hatte meine Hand auf ihrem Kopf, damit sie nicht auskühlte. Sie wurde schlaffer. Das Schreien musste sie müde gemacht haben. Ich legte sie schließlich im Kinderwagen ab, den ich hin- und herschob, bis sie tief schlief. Nun endlich konnte ich essen – ich war halb verhungert und ganz zittrig. Zum Essen trank ich ein Glas Hochprozentiges, was ich sonst nie tue. An diesem Abend war es nötig. Ich war geschlagen, gedemütigt und zwischen mir und meiner Tochter würde es nie wieder so sein wie früher, da war ich mir sicher. Lilly hasste mich.

Nach einer weiteren Stunde kam meine Frau gut erholt aus der Sauna wieder und ich fiel ihr in die Arme, den Tränen nah. Ich erzählte ihr alles und sie gab mir Trost. Lilly ließen wir im Kinderwagen weiterschlafen.

Eine Achterbahnfahrt der Gefühle

Eine gute Stunde später wachte die Kleine wieder auf und ich trug sie zu ihrer Mutter ins Bett damit sie ihre Milch bekam. Wehmut war dabei, als ich meinen kleinen Liebling anhob und zur Mama brachte, die ihr nun das geben würde, was ich ihr nicht bieten konnte. Als ich Lilly jedoch neben ihrer Mutter ablegte geschah es: die Kleine lächelte mich an. Ganz offen. So, als ob nichts geschehen wäre. Da wusste ich: alles wird gut. Meine Tochter liebt mich noch immer. Ich lächelte zurück, streichelte ihr über den Kopf und hatte Tränen in den Augen.

Das Ende einer Achterbahnfahrt der Gefühle, wie sie wohl nur Eltern erleben.