Je größer die eigenen Kinder werden, desto mehr vergessen Eltern die Mühen der Schwangerschaft, die Schmerzen der Geburt und die Belastungen der ersten Monate mit dem Baby. Diese „Eltern-Demenz“ hat auch ihren Grund – und doch sind einige Ausprägungen schwer zu begreifen. Ein junger Vater berichtet von seinen Erlebnissen.
Die „Eltern-Demenz“ – ein Phänomen, das den Fortbestand der Menschheit sichert
Unsere Tochter Lilly war 3 Monate alt als ich das erste Mal mit einem schweren Fall von „Eltern-Demenz“ in Berührung kam. Zumindest nannten meine Frau und ich dieses Phänomen anschließend so.
Wir waren mit der Kleinen im Sommer bei den Schwiegereltern zu Besuch. Unsere Tochter konnte nicht schlafen – ob es an der Hitze, dem stickigen Zimmer, den Erlebnissen des Tages oder der ungewohnten Umgebung lag – ganz egal, sie kam einfach nicht zur Ruhe und quengelte die halbe Nacht hindurch. Immer wieder nahm ich sie in den Arm und trug sie in der Wohnung herum, wie es junge Eltern eben tun. Kurz nach 4 Uhr früh kam meine Schwiegermutter verwundert aus ihrem Schlafzimmer und sagte: „Ich kann mich nicht erinnern, dass das bei uns früher so war.“ Wenn ich nicht so müde gewesen wäre, hätte ich laut losgelacht. Am nächsten Tag erzählte ich die Episode meiner Frau und wir kamen zu dem Schluss, dass es sich hier um einen Fall von „Eltern-Demenz“ handeln musste, wie wir es nannten: die Tatsache, dass Eltern mit der Zeit die Schmerzen, Anstrengungen und Mühen, die sie mit ihren Kindern hatten, vergessen oder verdrängen. Ab diesem Zeitpunkt achteten wir auf weitere Fälle – und die fanden wir reichlich.
Über alle Anstrengungen rund ums Kind legt sich der Schleier des Vergessens
Es scheint, als ob die Erinnerungen an die Beschwerden der Schwangerschaft, die Schmerzen der Geburt oder das permanente Schlafdefizit der ersten Wochen und Monate bei Eltern immer mehr verblassen, je länger die zurückliegen und je älter das eigene Kind ist. Der Schleier des Vergessens legt sich über die Anstrengungen und die Babyzeit wird durch eine rosarote Brille gesehen. Dies fällt zugegebenermaßen einfach, wenn man sich die Fotos der winzigen Säuglinge ansieht. Die übermüdeten Eltern wären sicher weit weniger fotogen gewesen…
Eine solche „Eltern-Demenz“ ist nur menschlich. Im Rückblick sehen viele Strapazen, die man durchlitten hat, deutlich erträglicher aus. In diesem Fall wird das Vergessen auch von der Natur gewünscht sein. Es gäbe deutlich mehr Einzelkinder, wenn Frauen die Mühen der Schwangerschaft, die Geburtsschmerzen und Väter und Mütter die Mühen der ersten Monate mit dem Baby noch so klar vor Augen hätten wie beim Zeitpunkt des Durchlebens.
So kommt mit zunehmender „Eltern-Demenz“ bei vielen Paaren nach und nach der Wunsch nach einem zweiten Kind. Man hat es ja schon einmal geschafft – und es ist alles gut gegangen. Nun weiß man ja, wie es geht und wird deutlich souveräner sein. Ja, es war anstrengend, aber das geht vorbei. Und unser Kind würde sich sicher über ein Geschwisterchen freuen.
Kommt Ihnen das bekannt vor?
„Kleine Kinder – kleine Sorgen. Große Kinder – große Sorgen“
Wer kennt ihn nicht, diesen Spruch? Meiner Meinung nach kann er nur von einem Elternteil mit Kindern im Teenageralter kommen, das unter fortgeschrittener „Eltern-Demenz“ leidet.
Gerade bei den kleinsten Kindern ist jede Sorge elementar. Eltern, deren Baby schreit und die nicht wissen, woran es liegen könnte, werden dies bestätigen. Bei jedem Hustenanfall, bei jedem Fieber hat man Angst um die langfristigen Folgen für die Gesundheit seines Kindes, wenn nicht gar um sein Leben. Welches Elternteil ist nicht schon nachts an das Babybett getreten und hat sich ganz nah über sein Kind gebeugt, nur um zu hören, ob es noch atmet?
Kleine Sorgen – hah! Was für ein Quatsch!
Die „Eltern-Demenz“ – irgendwann erwischt sie jeden
Unsere Tochter ist inzwischen knapp ein Jahr alt und schläft seit ein paar Wochen endlich durch. Wir gleichen unser Schlafdefizit langsam aus und haben nun auch etwas mehr Zeit für uns. Immer öfter ertappe ich meine Frau nun dabei, wie sie verträumt auf die Babyfotos sieht und dabei seufzt. „Das ging alles so schnell. Sie ist so schnell groß geworden.“
Unverkennbar die ersten Symptome …
Anmerkung:
Eine echte, klinische, Demenz ist eine schlimme Sache – für Betroffene wie ihre Angehörigen. Wir möchten uns mit diesem Beitrag auf keinen Fall über diese Erkrankung lustig machen oder sie auch nur verharmlosen. Daher ist der Begriff „Eltern-Demenz“ in dieser Glosse stets in Anführungszeichen gesetzt.